Auch außerhalb Europas entstehen Ableger der neuen Partei. Es gibt bereits 70 Zusammenschlüsse mit insgesamt 80.000 Mitgliedern.

Berlin. "Wir wollen auch eine Piratenpartei gründen. Der Erfolg der Berliner Piraten bei den Senatswahlen hat uns motiviert." Das sagt der Israeli Ohad Shem Tov an einem Abend Ende September 2011 über Internettelefonie zu dem deutschen Piraten Grégory Engels. Dieser wiederum saß an jenem Abend 3000 Kilometer entfernt zu Hause in seinem Arbeitszimmer in der hessischen Stadt Offenbach vor dem Computer. Als Ko-Vorsitzender der Piratenpartei International (PPI) berät der Deutsche Interessierte auf der ganzen Welt, die sich als Piraten zusammenschließen wollen. Auch diesmal mit Erfolg: Im Januar 2013 traten die israelischen Piraten tatsächlich bei den Parlamentswahlen an. Zwar holten sie nur 0,07 Prozent der Stimmen, doch für den Offenbacher ist allein ihr Antreten ein Beweis für die Universalität des Phänomens. Denn auch wenn die Partei in Berlin und im Bund längst wieder an Zustimmung verliert: Die Piraten sind so etwas wie eine internationale Bewegung. Kanada, USA, Brasilien, Argentinien, Tunesien, Russland und China - weltweit gibt es etwa 70 Zusammenschlüsse von Piraten mit insgesamt 80.000 Mitgliedern.

Bislang seien sie von Medien und Wissenschaft als europäische Bewegung wahrgenommen worden, sagt Engels. Forscher aus Deutschland, Finnland oder Schweden hätten ihn befragt. Es sei stets nur um die Europäer gegangen. Auch Politikwissenschaftler und Piratenexperte an der Berliner Freien Universität, Carsten Koschmieder, spricht in seiner Forschung bislang von einem "europäischen Phänomen". Fakt sei aber, so Engels, dass sich weltweit Tausende als Piraten unter der gleichen geschwungenen, schwarzen Flagge zusammengeschlossen hätten.

Und welche gemeinsamen Ziele haben sie? Immerhin streiten schon allein die Berliner über Inhalte; und im Vergleich verschiedener Programme europäischer Piraten stellt Experte Koschmieder fest: "Die sind teilweise sogar konträr." Einige wollten sich allein um Netzthemen kümmern, andere wollten ein Vollprogramm mit Vorschlägen zur Sicherheits- oder Finanzpolitik. Der studierte Physiker Engels betont aber lieber die Gemeinsamkeiten: Alle wollten Basisdemokratie und Freiheit, weltweit - im und außerhalb des Internets. Alle teilten das Gefühl, dass etablierte politische Parteien mehr eigene als die Interessen der Bürger vertreten. Außerdem seien sie alle als junge Menschen sozialisiert, die ständig international im Austausch sind - manchmal auf Französisch, meist auf Englisch -, und immer online. "Das ist ein Stück gemeinsame Kultur und schafft ein Gefühl der globalen Einheit", sagt Engels.

Doch es gibt auch Probleme in der Kommunikation untereinander: Die meisten seien politisch unerfahren, es gebe unterschiedliche Diskussionskulturen, manchmal auch Missverständnisse. Und es gibt noch einen großen Unterschied zwischen den Piraten der verschiedenen Länder: Denn die offiziell registrierten Parteien in Demokratie wie Kanada, Deutschland oder Australien bedienen vor allem Nischenthemen wie Urheberrechte im Internet - oder schlagen sich mit Personalknatsch rum. In weniger liberalen Ländern aber haben die Piraten mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.

Ein Beispiel ist China. "Wir werden vielleicht nie eine offizielle Partei sein können", sagt der Sprecher der chinesischen Piraten, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. "Dennoch sind wir sehr aktiv", fügt er hinzu. Mit dem Offenbacher Pirat Engels steht er normalerweise in stetem Kontakt - bis Ende des Jahres, als die Nachrichten aus China plötzlich stoppten. "Ich hatte mir schon Sorgen gemacht", berichtet Engels. Mitte Februar kam dann endlich ein Lebenszeichen aus Fernost: "Mein Facebook-Konto und auch andere Seiten, die ich gebaut habe, wurden gelöscht", schrieb der anonyme Pirat aus China. "Mit unseren Kollegen kommunizieren wir jetzt erst einmal über Google+. In Zukunft planen wir aber eine verschlüsselte Plattform, die jeden unerwünschten Zugriff verhindert und keine Spur im Netz hinterlässt."

Bis zum Arabischen Frühling blieben auch die tunesischen Piraten aus Sicherheitsgründen lieber anonym. Dann kam im Januar 2011 die Revolution, und Diktator Zine al-Abidine Ben Ali musste nach 23 Jahren endlich seine Macht abgeben. Das half auch den Piraten: Slim Amamou, prominenter Blogger - und Pirat - übernahm in der Übergangsregierung ein Ministeramt für Sport und Jugend, kurz vorher noch hatte er im Gefängnis gesessen. Doch in der Realpolitik einmal angekommen, gab es - ganz wie in Deutschland - Probleme. Der junge Amamou, ein Mann mit schwarzen Locken und schwarzer Brille trat schon wenige Monate später wieder zurück, aus Protest über die Blockierung einiger Internetseiten.

Geschmeidiger läuft dagegen auch hier das Kritisieren des Systems von außen: "Wir wollen die Welt verändern, mehr Transparenz, mehr Teilhabe, alles übers Internet", sagte der 24-jährige Wassim Ben Ayed, Mitbegründer der Hizb-al-Qarasina, der tunesischen Piratenpartei, in einem Interview mit der Deutschen Welle. Zwar haben nur 40 Prozent der Tunesier einen Internetanschluss, wie es vom Internetforschungsinstitut Internet World Stats heißt. Doch gleichzeitig gewinnt keine Piratengruppe weltweit beim Nachrichtendienst Twitter schneller neue Anhänger. Vor der Revolution hatten sie 115, jetzt haben sie 5835 Leser.

Auch die türkischen Piraten kritisieren das politische System ihres Landes: "Wir haben uns 2009 gegründet, weil die Regierung plante, eine Suchmaschine zu etablieren, die bestimmte Resultate nicht anzeigt", erzählt deren vollbärtiger Sprecher Sevket Uyanik über Facebook. Mittlerweile jedoch seien sie alle ziemlich frustriert. Das türkische Regierungssystem "ist beschissen", sagt Uyanik. Die Zehn-Prozent-Hürde würde ihnen kaum eine Chance lassen. Deshalb wollten sie es erst einmal als Nichtregierungsorganisation versuchen. Sie hätten zwar nur sieben bis acht aktive Mitglieder, dafür aber 150.000 Unterstützer.

Ebenso scheiterten auch die taiwanischen Piraten im Februar vergangenen Jahres daran, sich offiziell registrieren zu lassen. Das Innenministerium begründete dies mit der Gefahr, dass Bürger die Parteimitglieder mit echten Seeräubern verwechseln könnten. Der Name sei daher unangemessen. Auch der Erklärungsversuch des Gründers der Gruppe und Psychologie-Professor, Tai Cheh, "Piraten, können jene auf See sein, aber auch solche, die sich um Internetrechte kümmern", half nicht. Ebenso wenig änderte sein Hinweis auf bestehende Piratenparteien unter anderem in Deutschland an dem Verbot des Innenministeriums.

Auch die russischen Behörden haben ein Problem mit dem Wort Piraten. Die Gründung einer offiziellen Partei wurde jetzt zum zweiten Mal verweigert, berichtet die Sprecherin der 7000 russischen Piraten, Natalia Malyshewa - einige der wenigen führenden Frauen in der Bewegung. Die offizielle Begründung für das Verbot lautet, die jungen Aktivisten seien keine "echten" Piraten - und wenn doch, wäre das illegal. Das sei "politisch motivierte Schikane", glaubt der Vorsitzende der russischen Piraten, Pawel Rassudow. "Solche Entscheidungen werden ganz oben getroffen. Anscheinend haben die Behörden so viel Angst vor uns, dass sie die Mühe auf sich nehmen, die Registrierung zu verhindern." Tatsächlich haben die russischen Piraten bereits den Zorn des Staates auf sich gezogen: "Unsere neue Homepage ist blockiert für IP-Adressen der Computer von Behörden und anderen Regierungsorganisationen", erklärt Malyshewa. So wollen sich die russischen Piraten vor Zensur schützen.

Um sich über all dies auszutauschen, hat die PPI alle Piratenparteien zu einem Treffen ins russische Kasan geladen, das vierte seit 2007. "Wir fahren hin, aus Solidarität", sagt Engels. Auch die Türken haben bereits zugesagt. Die Piraten in Australien und Brasilien zögern noch. "Sie beschweren sich, dass das Treffen so weit weg stattfindet", sagt Engels. Aber so sei das eben bei globalen Bewegungen. "Wir wollen in Kasan netzwerken, Erfahrungen austauschen." Eine Tagesordnung gebe es noch nicht. Aber klar sei: "Wir sind eine internationale Bewegung."