Der Aufsichtsrat der Bahn plant trotz weiterer Kostensteigerungen den Bau des umstrittenen Tiefbahnhofs in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Ländle-Chef Kretschmann und Stuttgarts OB Kuhn wollen aber nicht mehr zahlen.

Stuttgart. Einigen Stuttgart-21-Gegnern fallen immer noch kreative Protestformen ein. Etwa das fernmündliche Pfeifkonzert. Vor der Sitzung des Bahn-Aufsichtsrats, der in Berlin über die Zukunft des Projekts abstimmen wollte, protestieren die Gegner zwar wie gewohnt daheim vor dem Bauzaun, doch in der Hauptstadt war das dennoch zu vernehmen: Die Buhrufe und Forderungen nach endgültiger Beerdigung des Tiefbahnhofs wurden nach Berlin gefunkt und gellten dort aus Lautsprechern.

Genutzt hat es nichts. Kurz nach 15 Uhr, nach einer für das Kontrollgremium ungewöhnlich langen Beratungszeit von mehr als fünf Stunden für einen Programmpunkt, stieg weißer Rauch auf. Aus dem Bahn-Gebäude verlautete, der Aufsichtsrat habe den Weiterbau trotz womöglich zwei Milliarden Mehrkosten abgesegnet. Kurz darauf kam die Bestätigung: Von 20 Aufsichtsräten hatte sich nur einer gegen Stuttgart 21 ausgesprochen, eine Person enthielt sich. Der Rest gab grünes Licht. Nun geht es also weiter mit dem Bau, dessen Kostenrahmen von 4,5 auf 6,5 Milliarden Euro erhöht wurde.

Viele der Kontrolleure werden das mit Bauchgrimmen getan haben. Alexander Kirchner etwa, Chef der Bahngewerkschaft EVG und Vize im Kontrollgremium, hatte noch kurz vor der Sitzung "denkbare Alternativen" angesprochen, falls Stadt und Land ihre Millionen auch in ein Folgeprojekt einbringen würden.

Nun aber versicherte Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht, die Kontrolleure hätten sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. "Wir haben uns ein umfassendes Bild über den Stand des Projektes verschafft", sagte er. Außerdem lägen Testate zweier Wirtschaftsprüfer vor. Eine Projektgesellschaft samt Beirat soll Stuttgart 21 nun intensiver betreuen. "Die Fortführung des Projektes ist für die Deutsche Bahn wirtschaftlich vorteilhafter als ein Abbruch", hieß es in einer Mitteilung.

„Es wird nicht bei 6,5 Milliarden Euro bleiben“

Die Aufsichtsräte waren in den vergangenen Wochen mit unterschiedlichsten Forderungen unter Beschuss genommen worden. Gegner wie die Naturschutzinitiative BUND oder die Lokführer-Gewerkschaft GDL forderten den Ausstieg. Was S 21 mehr koste, müssten letztlich die Bahn-Beschäftigten erarbeiten, hatte GDL-Chef Claus Weselsky kritisiert. Für ein Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmerseite sei es "unverantwortlich", dem Projekt weiter zuzustimmen. Brigitte Dahlbender, Landeschefin beim BUND, hält das Risiko von S 21 weiter für unkalkulierbar. "Es wird nicht bei 6,5 Milliarden Euro bleiben."

"Der Beschluss ist ein Skandal", sagte der Vorsitzende des Bundestags- Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne). Das nun präsentierte Zahlenwerk werde rasch überholt sein. "Die Kostenrisiken wurden kleingerechnet und die Ausstiegskosten zu hoch angesetzt." Für die Entscheidung trage nun Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Verantwortung: "Stuttgart 21 ist Merkels Bahnhof."

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) dagegen hatte ebenso wie Merkel ein Kurshalten der im Bundesbesitz befindlichen Bahn angemahnt. Auch aus der Industrie waren Forderungen laut geworden, den Ruf Deutschlands als Projektmanagement-Profi nicht noch weiter zu schädigen.

Der Streit jedoch, wie mit der Kostenexplosion umgegangen werden soll, ist jetzt keineswegs ausgeräumt. Ramsauer meint wie die Bahn, dass der Aufschlag auch von Stadt und Land mitfinanziert werden müsste. "Ich erwarte, dass sich Land und Stadt nicht vor der Verantwortung wegducken", sagte der CSU-Politiker der "Rheinischen Post". Er halte den Punkt, an dem noch umgekehrt werden könne, für überschritten.

Doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (beide Grüne) wiederholen, dass sie nicht mehr als angekündigt zu zahlen bereit sind. Also landet der Streit mit großer Wahrscheinlichkeit vor Gericht. Auch hierfür hat der Aufsichtsrat grünes Licht gegeben. Das wird den Bau von Stuttgart 21 weiter verzögern. Schon jetzt spricht die Bahn von einer Einweihung im Jahr 2022, drei Jahre später als geplant

Derweil tobt in der Landesregierung wieder ein Streit über Stuttgart 21. Denn Kretschmann hatte kurz vor der Sitzung in einem Brief an den Vizeaufsichtsratschef Alexander Kirchner Gesprächsbereitschaft über einen möglichen Ausstieg signalisiert. Der Vorstoß Kretschmanns sei ein "beispielloser Affront", empörte sich der ohnehin zu hochrotem Kopf neigende SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Die SPD als Befürworterin des Projekts werde gemeinsam mit der FDP im Landtag eine Mehrheit stellen und die Bahn auf Einhaltung der Verträge verklagen, sollte sie das Projekt beenden wollen, hatte Schmiedel gewarnt. Kurz danach, mit der Entscheidung des Aufsichtsrats, hatte sich das Problem dann aber wieder von selbst erledigt.