Auf Druck der Kanzlerin und Premier Cameron sinken die Ausgaben im neuen Haushalt. Parlamentspräsident Schulz kündigt eine Blockade an.

Brüssel. Morgens um halb sechs an der Bar trifft man sich eigentlich, wenn man sich nach einer durchzechten Nacht noch einen Absacker genehmigt. Eine lange Nacht in Brüssel hatte der belgische Premierminister Elio Di Rupo in jedem Fall hinter sich. Besonders ausgelassene Stunden gingen seinem Barbesuch allerdings nicht voraus. Es gab etliche Stunden lang schlicht nicht viel zu tun für ihn. Der Belgier bestellt sich im Bauch des EU-Ratsgebäudes einen Espresso, kurz, schwarz und bitter. Die Fliege, die er so gerne trägt, ist heute blau und mittlerweile leicht lädiert. Er sucht Gesellschaft.

Zur selben Zeit tagen oben, acht Etagen höher, die Schwergewichte unter den 27 europäischen Regierungschefs: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt dort mit dem französischen Präsidenten François Hollande und Gipfelchef Hermann Van Rompuy. Es geht darum, die beiden zerstrittenen Lager im Kampf um den EU-Haushalt für die Jahre 2014 bis 2020 zusammenzubringen. Es geht schon seit gut 15 Stunden darum, die Obergrenze für die Ausgaben der EU festzulegen. Die Einigung auf einen Haushaltsrahmen samt Rabattregeln und Sonderboni ist da noch elf Stunden entfernt. "Einigung erzielt", teilte Van Rompuy kurz vor halb fünf mit.

959 Milliarden Euro ist die Zahl, die schließlich aus gemeinsamen Arbeitsrunden und ungezählten bi- und trilateralen Gesprächen als diejenige geboren wird, die alle zu akzeptieren scheinen. 959 Milliarden Euro als Obergrenze der finanziellen Verpflichtungen, die die Europäische Union in den kommenden sieben Jahren eingehen darf: Die Höhe beträgt etwa ein Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU, und sie liegt unterhalb der Summe, die die EU in der laufenden Haushaltsperiode ausgegeben haben wird. Damit ist eine wichtige Forderung für die Nettozahler um Großbritannien, Schweden, die Niederlande und Deutschland erfüllt.

Auf Druck von Berlin und London wird die EU in den kommenden sieben Jahren erstmals weniger Geld ausgeben als in der Vergangenheit: minus drei Prozent. "Die Mühe hat sich gelohnt", befand Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Verhandlungsmarathon. Die Einigung basiert auf einem Vorschlag von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, der den Durchbruch per Twitter verkündete. Demnach wird es Einsparungen quer durch alle Töpfe der EU geben.

Dies kommt den Wünschen der Staaten entgegen, die mehr Geld nach Brüssel zahlen, als sie von dort zurückerhalten. Großbritannien und Deutschland hatten vor dem Gipfel auf weitere Milliardenkürzungen gepocht.

Die Ausgaben sind aber auch eine Steigerung: Weil die Haushaltsordnung der EU den jährlichen Budgets einen Inflationsausgleich von zwei Prozent gewährt, wird die Billion Euro zum Ende des Rahmenplans doch gerissen.

Es ist die Stunde der Nettozahler, und es ist die Stunde ihrer großen Widersacher. Frankreich hat sich zur Schutzmacht der Empfängerländer erklärt, nicht völlig uneigennützig, da Paris an hohen Rückflüssen aus Brüssel für seine Bauernschaft ein größeres Interesse hat als an geringeren Abführungen. Di Rupo, Chef des kleinen Belgien, ist nicht dabei, wenn sie in den Ring steigen, um ihre Kernforderungen durchzuboxen, wenn sie sich wieder und wieder mit den jeweiligen Partnern beraten, wenn sie Netze aus Zusagen und Zumutungen flechten, manches Ende lose lassen, weil sie ja versuchen, irgendwann aneinander anzuknüpfen.

Deshalb hat di Rupo Zeit. An der Pressebar genehmigt er sich ein Sandwich, schält es ohne Eile aus dem Zellophan. Seine Stunde sollte erst noch kommen, die Stunde der Kleinen.

Zum Zeitpunkt, da die Einigung auf die 959 Milliarden Euro als Obergrenze erzielt ist, hat Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) schon längst darüber geschimpft. Zu den verwirrenden Besonderheiten des europäischen Budgets gehört es, dass es eine zweite Obergrenze gibt - für die tatsächlichen Zahlungen. Während der letzten Verhandlungsrunde sprachen die 27 über 908 Milliarden Euro. Die Lücke zwischen beiden Beträgen entsteht, weil ohnehin nicht alle bereitgestellten Summen auch abgerufen werden. Fünf bis zehn Milliarden Euro pro Jahr kann der nicht verbrauchte Hauhaltsrest ausmachen. Dennoch: Kommt das neue Budget so, wie die Regierungschefs es sich vorstellen, wird die Lücke größer. Das nennt Schulz einen "Defizithaushalt", und für den gelte: Er werde ihn nicht unterschreiben. "Wir sind bereit zum Dialog, aber wenn mir heute gesagt wird ,Friss Vogel oder stirb', dann glaube ich nicht, dass die europäischen Parlamentarier sich das gefallen lassen", sagte Schulz.

Es ist das erste Mal, dass die EU sich einen Haushalt unter den Regeln des Vertrags von Lissabon gibt. Das Europaparlament muss zustimmen. Die Drohung mit dem Veto haben die großen Fraktionen des Parlaments sich schon zu eigen gemacht. Die Regierungschefs wollen das zwar berücksichtigen, aber erst, wenn es so weit ist.

Es mag manchem klarer gewesen sein als Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite, dass die Beratungen länger dauern würden und dass die kluge Staatsfrau ihre Handtasche entsprechend packt: "Ich hätte nie gedacht, dass ich eine Zahnbürste einpacken müsste", sagte sie. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), am Vortag noch in Grün, kommt am Freitagmittag in einem violetten Blazer.

Am Ende muss jeder Zugeständnisse machen, damit er etwas anderes bekommt. Jetzt schlägt die Stunde der Kleinen, der di Rupos aus Belgien und Borrissovs aus Bulgarien. Nie war es so einfach, weil man nur auf einen Haushaltstitel zeigen und fordern muss, zehn, 20 Millionen Euro draufzuschlagen. Ein Erfolg - so sieht es Verhandlungsführer Van Rompuy und twitterte: "Das Warten hat sich gelohnt."