Justizministerium plant Strafgesetz. Hamburgs Ex-Justizsenator Roger Kusch und seine Mitstreiter wollen sich aber nicht ausbremsen lassen.

Es ist kein Treffen von Verschwörern. Aber es wirkt so. Obwohl wir nur über Deutschland reden wollen, haben wir uns in Zürich verabredet. Auf der steilen Stiege eines alten Hauses in der Innenstadt stakst Roger Kusch herunter und bittet nach oben in eine enge Mansardenwohnung. Kusch spricht vom Exil in der Schweiz, als wir dann zusammensitzen mit zwei weiteren Männern, die in Deutschland wenig Gutes zu erwarten haben.

Zum einen der deutsche Neurologe und Psychiater Johann Friedrich Spittler, der für den von Kusch mitinitiierten Verein Sterbehilfe Deutschland (StHD) die medizinischen Gutachten erstellt, wenn Mitglieder um Beihilfe bei der Selbsttötung bitten. Zum anderen der Schweizer Ludwig A. Minelli, Generalsekretär des Schweizer Sterbehilfe-Vereins Dignitas, zugleich Erster Vorsitzender von dessen deutschem Ableger "Dignitas - Menschenwürdig leben - Menschenwürdig sterben (Sektion Deutschland)".

Diese deutsche Dignitas-Sektion und genauso Kuschs StHD fallen möglicherweise unter ein derzeit diskutiertes Strafgesetz, nach dem bestimmte Formen der Suizid-Beihilfe mit Gefängnis von bis zu drei Jahren bestraft würden. Auch deshalb übrigens sitzen wir in der Schweiz. Denn hier hat Kuschs Verein eine zweite Geschäftsstelle eröffnet, zusätzlich zu einer ersten in Hamburg. Bislang soll diese Zürcher Dependance nur dazu dienen, die süddeutschen Mitglieder von Sterbehilfe Deutschland zu betreuen.

Doch demnächst könnte es für den Verein darüber hinaus auch nützlich sein, sich an einem Ort zu befinden, wo es mit Sicherheit kein Verbot gibt. In der Schweiz nämlich ist die Suizid-Assistenz, die Bereitstellung tödlicher Medikamente für einen von sich aus darum bittenden Sterbewilligen, erlaubt. Zürich könnte also eine sichere Basis für den Verein und seine derzeit gut 300 deutschen Mitglieder sein.

29 Mitglieder von StHD haben im vergangenen Jahr Suizid-Assistenz erhalten. Sie haben lange Gespräche mit dem Vereinsvorstand und mit Spittler geführt, dann erstellte Spittler ein Gutachten über ihren gesundheitlichen und geistigen Zustand. In 29 dieser Gutachten wurde es für möglich befunden, dass die Mitglieder an Orten, die nicht mitgeteilt werden, den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhielten, mit deren Einnahme sich die Personen selbst töteten. Weil sie unheilbar krank waren. Weil sie sehr alt waren und auch aus Furcht vor kommender Pflegebedürftigkeit nicht länger leben wollten. Oder weil sie psychisch schwer krank waren.

Die Suizid-Beihilfe für solche Vereinsmitglieder will der frühere Hamburger Justizsenator Kusch auch dann nicht einfach beenden, wenn es zu einem strafrechtlichen Verbot kommen sollte: "Wir werden mit Sicherheit nicht am Tag des Inkrafttretens eines solchen Verbotsgesetzes unseren Verein in Hamburg schließen", sagt Kusch. Zwar müsse dann jeder der Akteure "für sich das strafrechtliche Risiko abschätzen und eine individuelle Entscheidung treffen". Aber einfach aufhören? Nein. Und wenn ein Mitglied noch vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes grünes Licht für die Beihilfe vom Verein bekomme, "sehe ich nicht ein, dass wir in diesem Fall keine Sterbehilfe leisten". Alles weitere werde man sehen.

Tatsächlich ist unklar, was auf die Vereine zukommt. Derzeit ruht im Bundestag ein Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die nur eine "gewerbsmäßige" Suizid-Assistenz, an der kommerziell verdient würde, mit Gefängnis bestrafen will. Alle anderen Formen der Suizid-Assistenz blieben wie bisher straffrei.

Doch das geht vielen in CDU/CSU nicht weit genug. Sie fordern, dass auch eine nur organisierte ("geschäftsmäßige") Assistenz den Beihelfer hinter Gittern bringt.

Was zum Gesetz wird - und ob es überhaupt eins gibt -, ist offen. Die Ministerin sträubt sich beharrlich, das Verbot auf Nicht-Kommerzielles auszuweiten. In der Union aber weigern sich nicht wenige Abgeordnete, unterstützt von beiden Kirchen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, weil sie ihn unzureichend finden. Denkbar ist daher entweder: Die Kritiker in der Union lassen sich doch noch bewegen, dem Plan der Ministerin zuzustimmen. Oder: Es gibt keine Einigung, und in dieser Legislaturperiode wird gar nichts beschlossen.

Das wäre den Sterbehelfern natürlich lieber. Gleichwohl machen sie sich Gedanken, was würde, wenn ein Gesetz käme. Schon ein Verbot nur der gewerbsmäßigen Beihilfe könnte sie treffen, da es laut Entwurfsbegründung gewerbsmäßig ist, wenn man "sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen" versucht. Da denkt Minelli an die Geschäftsstelle der deutschen Dignitas-Sektion in Hannover:

"Konkret wird man damit rechnen müssen, dass die Staatsanwaltschaft wohl auf den schwächsten Teil losgehen würde, auf unsere Sekretariatskräfte, die ja aus Mitgliedsbeiträgen finanziert werden. Das würde zur Folge haben, dass wir keine Sekretariatskräfte mehr beschäftigen könnten, ohne diese Personen strafrechtlichen Risiken auszusetzen." Man habe deshalb beschlossen, "dass sämtliche Beratungsgespräche im Zusammenhang mit Sterbehilfe nur noch von der Schweiz aus geführt werden können, falls das Gesetz in Kraft tritt".

Die deutsche Dignitas-Sektion, 2005 in Hannover aufgrund deutscher Initiative gegründet, versteht sich als Beratungsverein. Die gut 2700 deutschen Mitglieder erhalten für eine einmalige Aufnahmegebühr von 96 Euro und einen monatlichen Beitrag von 16 Euro zum einen kostenlose Rechtsberatung durch eine Berliner Anwaltskanzlei, die bei der Durchsetzung von Patientenverfügungen und sonstigen juristischen Fragen hilft.

Zum anderen werden bislang in Hannover auch Beratungsgespräche mit Mitgliedern über eine Suizid-Begleitung geführt, die dann aber nur in der Schweiz stattfindet. Bei diesen Gesprächen geht es neben den Suizid-Gründen auch darum, dass den Menschen die rechtliche Lage in Deutschland und der Schweiz mitgeteilt wird, dass sie über das genaue Vorgehen in der Schweiz informiert werden und sich die Personen alle nötigen Papiere und ärztlichen Berichte beschaffen. Diese Unterlagen werden in der Schweiz geprüft, und dann richtet Dignitas-Schweiz gegebenenfalls eine Anfrage an einen Schweizer Arzt, ob er das Rezept für das tödlich wirkende Medikament ausstellt. Zum Sterben muss das deutsche Mitglied in die Schweiz kommen.

Fraglich ist, ob im Falle eines Gesetzes jene Sterbehilfe-Beratung, die ja mit Mitgliedsbeiträgen zusammenhängt, noch möglich wäre. Einige Juristen meinen, dass "Gewerbsmäßigkeit" schon gegeben ist, wenn überhaupt Geld fließt. Minelli ist sich nicht sicher: "Ob dann überhaupt noch der Verweis auf die Möglichkeit zur Suizid-Begleitung in der Schweiz zulässig ist oder nicht, steht einstweilen noch dahin."

Etwas anders sind die Verhältnisse bei Sterbehilfe Deutschland. Kuschs Verein leistet die auf Mitglieder beschränkte Suizid-Assistenz nur in Deutschland, durch Ehrenamtliche. Allerdings fließt auch hier Geld. Die Vereinsbeiträge belaufen sich auf 200 Euro im Jahr oder 2000 Euro fürs ganze Leben. 2012 indes beschloss man, dass im Falle einer Suizid-Begleitung alle vom Mitglied gezahlten Beiträge wieder an die Hinterbliebenen zurückgezahlt werden, damit nicht der Eindruck von kommerziellem Handeln entsteht. Dennoch gilt auch hier der Vorbehalt, dass "Gewerbsmäßigkeit" schon die reine Beitragszahlung umfassen könnte.

Treffen könnte das Verbot den hauptamtlichen, aus den Beiträgen finanzierten Geschäftsführer von StHD. "Wenn die Telefonkraft von Dignitas in Hannover Probleme bekommt, kann unser hauptamtlicher Geschäftsführer auch Probleme haben", räumt Kusch ein. Gleichwohl meint er, dass der Verein "genug Aktivitäten" entfalte, "die mit Sterbehilfe nichts zu tun haben", etwa Beratung zu Patientenverfügungen. "Daher gehe ich davon aus, dass unser Verein vom vorliegenden Gesetzentwurf nicht betroffen wäre."

Sorgen machen muss sich aber der Arzt Johann Friedrich Spittler. Für seine Gutachten zur freien Willensfähigkeit und zum gesundheitlichen Zustand des um Suizid-Assistenz ersuchenden Sterbehilfe-Deutschland-Mitglieds berechnet der pensionierte Arzt ein Honorar. Er werde sich "möglicherweise überlegen müssen, ob das in der Form weitergehen kann", sagt Spittler.

Gleichwohl frage er sich "mit meinem nicht-juristischen Verstand, ob das Gesetz wirklich verbieten kann, dass ich für ein ausführliches Gutachten einschließlich wissenschaftlichem Hintergrund Geld nehmen darf". Aber irgendwie beteiligt an Suizid-Beihilfe wäre er mit dem Gutachten ja durchaus, und er nähme dafür Geld. Das kann "gewerbsmäßig" sein. Insofern ist möglich, dass schon das bloße Verbot "gewerbsmäßiger" Suizid-Beihilfe den meisten Sterbehilfe-Aktivitäten in Deutschland den Garaus machen würde. Und das, obwohl die Bürger in allen Umfragen sich mit großer Mehrheit dafür aussprechen, dass man unheilbar Schwerstkranken die Möglichkeit lassen sollte, ihr Leiden auf eigenen Wunsch und in eigenem Handeln sanft zu beenden.

Fraglich ist, ob die Bürger in Ordnung fänden, was StHD zuweilen auch macht. Nämlich Suizid-Assistenz bei Menschen zu leisten, die körperlich nicht schwer krank sind, sondern zur Selbsttötung aufgrund psychisch begründeter Suizidalität entschlossen sind. Spittler und Kusch haben selbst dokumentiert, dass der Verein einige Male auch solchen Menschen die tödlich wirkenden Mittel zur Verfügung stellte. Wäre es nicht besser, wenn die Vereine sich auf die medizinisch aussichtslosen Fälle beschränken würden?

Minelli widerspricht: Ein Großteil der Arbeit von Dignitas bestehe in Gesprächen mit Menschen - Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern -, "die sich an uns wenden und sagen, dass sie sterben wollen". Viele seien dann erstaunt, dass Dignitas nur nach den Gründen frage, nicht aber vorab versuche, sie vom Sterbewunsch abzubringen. "Wir signalisieren den Leuten: Suizid kann okay sein, und wenn du sterben willst, sind wir gern bereit, darüber zu reden. Aber wir wollen vorerst miteinander gemeinsam prüfen, ob es in deinem Fall gerechtfertigt ist und wir dir dann helfen können, oder ob es bessere Lösungen zum Leben hin gibt. Wir suchen die Ursache der Lebenskrise und bemühen uns, dabei zu helfen, sie zu überwinden", sagt Minelli. Nur dies ermögliche es, "mit einem Sterbewilligen ein offenes Gespräch zu führen und damit unbedachte Suizid-versuche zu vermeiden". Das sei auch schon oft gelungen.

Spittler erzählt, er habe sich "in den langen Jahren meiner Tätigkeit als Neurologe auch in den absurdesten Träumen nicht vorstellen können, welche katastrophalen Schicksale es bei Suizidalität gibt". Er finde es "unerträglich", dass diesen Menschen gesagt werde, "sie sollten doch aushalten oder sich zwangseinweisen lassen". Das, so Spittler, seien "die Leute, die die brutalen Suizide begehen", Leute, die es gegenüber Ärzten normalerweise planmäßig vermeiden würden, ihre Absichten erkennen zu lassen. "Die wissen doch ganz genau: Wenn ich in der Klinik zwangseingewiesen bin, dann muss ich da erzählen, dass ich keine Suizid-Absichten mehr habe, sodass der Richter mich irgendwann entlässt. Das ist ein klipp und klar taktisches Verhalten." Vertrauen entwickeln und über ihre Suizidalität sprechen würden diese Patienten "erst dann, wenn sie wissen, dass ihre Selbstbestimmung geachtet wird".

Dann aber zieht Spittler die Augenbrauen hoch, und sofort ist klar, was es heißen kann, wenn jene Selbstbestimmung geachtet wird: Suizid-Beihilfe durch den Verein bei einem definitiv psychisch Kranken.

Beim Zuhören kommt man da an einen Punkt, wo man sich den Argumenten von Minelli und Spittler einerseits nicht ganz entziehen - und andererseits nicht nachvollziehen kann, warum die so etwas machen und fortsetzen wollen. Es gibt bei den Sterbehilfe-Akteuren eine Beharrlichkeit, die sich dem Verstehen entzieht.