Der Agrarsektor macht nur etwa zwei Prozent des europäischen Sozialprodukts aus. Aber 39 Prozent des EU-Haushalts fließen dorthin.

Brüssel. Wenn es nach Christian Schmid gegangen wäre, dann hätte er sein Schicksal an 40 Milchkühe und 60 Hektar Land geknüpft. "Aber mein Vater hat mir ausgeredet, Vollzeit-Bauer zu werden", sagt der 37-Jährige, der nebenberuflich noch auf dem elterlichen Hof am Bodensee mitarbeitet. Schon als Kind war er im Stall dabei, später hat er an der Universität Hohenheim Agrarwirtschaft studiert. "Draußen zu sein und am Ende des Tages zu sehen, was man geschafft hat", so beschreibt er seine Vorstellung von Glück.

Dass alles anders kam, hat mit einem Phänomen namens "Höfesterben" zu tun. "Ohne die direkten Hilfen aus Brüssel kämen wir nicht mehr aus", sagt Schmid. Er fürchtet die Kürzungen, die auf dem EU-Haushaltsgipfel am Donnerstag und Freitag für die gemeinsame Agrarpolitik beschlossen werden könnten. Allein im Jahr 2013 fließen wieder 58 Milliarden in Hilfen für die Landwirtschaft, das entspricht 39 Prozent des gesamten EU-Budgets. Gegner der Subventionen kritisieren diesen Anteil als viel zu hoch - zumal der Agrarsektor heute nur noch etwa zwei Prozent des europäischen Sozialprodukts ausmacht. Diese Diskrepanz lässt sich einerseits historisch erklären. Zur Zeit der Römischen Verträge von 1957 hatte die Landwirtschaft noch eine erhebliche Bedeutung. Darüber hinaus stellen die Bauern eine besonders gut organisierte Interessengruppe dar, die in den EU-Mitgliedstaaten großen politischen Einfluss ausüben.

Ganz unabhängig davon, wie viel Geld es am Ende für den gemeinsamen Agrartopf geben wird, steht eines außer Frage: Die Art, wie es ausgegeben wird, bedarf dringend einer Reform. Zum einen sind da die Direktzahlungen an Bauern, die sich früher nach der Menge der Produktion richtete und dadurch Butterberge und Milchseen entstehen ließ. Heute richtet sich die Prämie nach einer einfachen Formel: Wer viel Land hat, bekommt dafür viel Geld. Ein deutscher Bauer erhält so durchschnittlich 319 Euro pro Hektar, ein lettischer hingegen nur 95. "Auch die Landwirte wissen, dass wir bei der Verteilung der EU-Mittel gewisse Angleichungen in Richtung der osteuropäischen Mitgliedstaaten akzeptieren müssen", sagt die deutsche Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Und spricht damit eine einfache Wahrheit aus: Wenn der Osten mehr Hilfen erhält, dann muss der Westen mit weniger auskommen.

Die direkten Zahlungen bilden dabei nur die erste Säule, die zweite Säule sieht Milliarden für ländliche Entwicklung vor. "Weil es sich abzeichnet, dass die Direkthilfen nicht angegangen werden, fürchten wir nun massive Kürzungen bei der zweiten Säule", sagt der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling.

Zusätzlich kommen die Prämien nicht immer dort an, wo sie auch helfen sollen. Während so mancher Kleinbauer vor sich hin darbt, profitieren große Betriebe über die Maßen von großen Flächen. "Ein Berufsstand, der Privilegien in Anspruch nimmt, die nicht gerechtfertigt sind, verliert seine Glaubwürdigkeit", sagt Volker Bosse, Landwirt aus Sachsen-Anhalt. Für seinen 400 Hektar großen Ackerbaubetrieb erhält er Direktzahlungen in Höhe von 120.000 Euro. Dass er die eigentlich nicht braucht, weil der Weltmarktpreis für Getreide gerade hoch ist, traut er sich kaum zu sagen. "Ich rücke damit doch die gesamte Branche ins Zwielicht." Nicht jeder Bauer aber profitiert von den hohen Getreidepreisen. Ist ein Betrieb zum Beispiel auf Viehzucht ausgelegt, dann stellen die steigenden Futtermittelpreise ein wirtschaftliches Problem dar. "Ich kämpfe für stabile Direktzahlungen", sagt Aigner, "denn sie haben auch die Funktion einer Risikoabsicherung." Schließlich lasse sich die Preisentwicklung für die kommenden Jahre kaum vorhersagen.

Weil auch die EU einsieht, dass die europäische Landwirtschaftspolitik nicht mehr zeitgemäß ist, hat Agrar-Kommissar Dacian Ciolos 2011 eine Reform angestoßen. Doch was der Rumäne ändern will, ruft heftigen Protest unter jenen hervor, die ihren Besitzstand wahren wollen. Wenn es nach Ciolos geht, dann sollen Bauern künftig für direkte Subventionen aus Brüssel eine Gegenleistung erbringen. Er will die Prämien an ein Mindestmaß an Umwelt- und Naturschutzauflagen koppeln. Wenn die Bauern ökologischer wirtschafteten, dann profitieren am Ende auch die Bürger und Verbraucher davon. "Die Menschen legen immer größeren Wert darauf, dass ihre Lebensmittel sicher und nachhaltig hergestellt werden", so Ciolos. Um das zu erreichen, hat sich der Kommissar ein Paket überlegt, das er "Greening" nennt. Es sieht vor, dass Grünland nicht einfach in Ackerland umgewandelt werden darf. Durch mehr Abwechslung der Fruchtsorten, die ein Landwirt anbaut, soll der Boden weniger stark ausgelaugt werden. Zudem sollen sieben Prozent des Ackerlands zu sogenannten "ökologischen Vorrangflächen" werden. Gemeint ist damit, dass hier nicht mit Pestiziden gedüngt werden darf.

Die konservative Mehrheit im Agrarausschuss des EU-Parlaments bremst die Reform von Ciolos aus: Greening soll eine freiwillige Leistung sein, ökologische Vorrangflächen sollen maximal 3,5 Prozent ausmachen. Und von einer Obergrenze von 350.000 Euro der Direktzahlungen pro Betrieb hält man hier wenig. Auch in Frankreich will es sich Präsident François Hollande nicht mit seinen Bauern verscherzen, die einer der größten Profiteure der Agrarhilfen sind. Er wird in Brüssel, gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), also versuchen, die Dinge weitestgehend so zu halten, wie sie sind. Aber beide müssen mit Gegenwind rechnen. Der britische Premier David Cameron wird aufs Sparen pochen.

Am Ende verrät die Debatte einiges über den Souverän in Europa: Während sich die Akteure um die Höhe und Verteilung der Hilfen streiten, gerät aus dem Blick, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für die Agrarhilfen mittlerweile fehlt. Kaum jemand sieht das Bedürfnis, die Ausgabe von Milliarden Steuergeldern zu rechtfertigen. Was die Bürger hingegen wollen, ist klar. Umfragen wie das Eurobarometer von Juli 2012 belegen: Mehr als der Preis interessiert die Käufer bei der Auswahl von Lebensmitteln deren Qualität (96 Prozent). Eine Mehrheit (86 Prozent) fordert laut einer WWF-Studie mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft und deshalb eine nachhaltige Subventionspolitik. Nur in Brüssel hat diese Meinung offenbar noch keine Mehrheit gefunden.