Am 30. Januar vor 80 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Es war eher eine Stabübergabe als eine Machtergreifung.

Hamburg/Berlin. Es war der Angelpunkt der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts: Montag, der 30. Januar 1933, es war etwa 11.20 Uhr, als der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg im Reichspräsidentenpalais in der Wilhelmstraße 73 in Berlin den neuen Kanzler des Deutschen Reiches vereidigte. Sein Name: Adolf Hitler, ebenjener "böhmische Gefreite", den Hindenburg noch kurz zuvor "nicht einmal zum Postminister" hatte machen wollen. Doch was blieb ihm übrig?

Seit 1930 gab es keine ordentliche Regierung mehr. Die Reichskanzler Heinrich Brüning, Franz von Papen (beide Zentrumspartei) sowie Kurt von Schleicher (parteilos) handelten nur mit Zustimmung Hindenburgs. Er setzte ihre Politik mit Notverordnungen um. Im Reichstag gab es keine stabilen Mehrheiten, Nationalsozialisten und Kommunisten legten in den Wahlen zu, die Weimarer Republik löste sich von innen auf.

Dabei, daran muss am 80. Jahrestag der "Machtergreifung" erinnert werden, waren Hitlers Nazis schon wieder auf dem absteigenden Ast. Nach Sensationserfolgen bei den Wahlen 1930 (von 12 auf 107 Mandate) und im Juli 1932 (230 Abgeordnete) erfuhr Hitler eine Schlappe bei der Reichspräsidentenwahl gegen Hindenburg und bröckelte die Anhängerschaft trotz Propaganda und Einschüchterung. Bei den Novemberwahlen 1932 gab es nur noch 196 Nazis im Reichstag (584 Abgeordnete).

Doch Reichspräsident Hindenburg wollte Hitler einbinden, stellte ihm Minister aus anderen Parteien an die Seite und wollte das Land befrieden. Das Gegenteil geschah. Hindenburg übertrug Hitler eher die Macht, als dass dieser sie ergriff. Mit dem 30. Januar 1933 und den folgenden Ereignissen wie Reichstagsbrand, Ermächtigungsgesetze, Unterdrückung und Umbau Deutschlands zum Führerstaat kam eine Entwicklung in Gang, die zwölf Jahre später mit Millionen Toten in der Kapitulation vor den Kriegsgegnern und einer Katastrophe endete.

Hitler hatte 1923 bereits versucht, sich an die Macht zu putschen. Dafür wurde er verurteilt und schrieb in der Haftzeit "Mein Kampf". Welche Rolle Hindenburg in den letzten Januartagen des Jahres 1933 spielte, ist umstritten. Der Feldmarschall im Ruhestand überwand sein Misstrauen gegenüber Hitler unter dem Einfluss eines Küchenkabinetts, zu dem neben dem vormaligen Reichskanzler Franz von Papen und Staatssekretär Otto Meissner auch sein Sohn Oskar gehörte - die gern zitierte "Hindenburg-Kamarilla".

In einer neueren Hindenburg-Biografie hat der Historiker Wolfram Pyta die Eigenverantwortlichkeit des Reichspräsidenten betont: Schließlich habe sich dieser mit Hitlers Plänen zur Aushebelung der Verfassung und der Vision von einer deutschen "Volksgemeinschaft" anfreunden können. Die Weichen zu Hitlers Kanzlerschaft wurden am 4. Januar in Köln gestellt. Im Haus des Bankiers Kurt von Schroeder sondierten Papen und Hitler die Möglichkeiten einer Regierungsbildung von konservativen und nationalsozialistischen Kräften - die heimliche Geburtsstunde des "Dritten Reiches". Weil der amtierende Reichskanzler Kurt von Schleicher von den Schachzügen seiner Gegner nichts erfahren durfte, wählte man für die Annäherung an den Reichspräsidenten grotesk anmutende Maßnahmen der Geheimhaltung: Bei einem Treffen in einer Berliner Privatwohnung betraten Hitler und sein Gefolge das Haus bei Dunkelheit von der Gartenseite, während Hindenburgs Sohn und Staatssekretär Meissner sich kurz nach der Pause aus einer Opernvorstellung schlichen.

Dem Kabinett Hitler, das sich nun abzeichnete, sollten neben Hitler nur zwei weitere Nationalsozialisten angehören, denen acht konservative Minister gegenüberstanden: "Wir rahmen also Hitler ein", versprach der designierte Vizekanzler Papen. Gegenüber einem Vertrauten äußerte er: "In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrängt, dass er quietscht."

Im letzten Moment war das Bündnis noch einmal gefährdet, als Alfred Hugenberg von der Deutschnationalen Volkspartei, der als Wirtschaftsminister vorgesehen war, im Vorzimmer Hindenburgs von Hitlers Absicht erfuhr, sofortige Neuwahlen herbeiführen zu wollen, und dies vehement ablehnte. Als Staatssekretär Meissner zur Einigung mahnte, da nebenan der Reichspräsident bereits seit 15 Minuten warte, knickte Hugenberg ein: Die Autorität von Hindenburg war für ihn unantastbar. Die Nationalsozialisten feierten die Amtsübergabe mit einem von Joseph Goebbels organisierten Fackelzug, bei dem über sechs Stunden lang Tausende Uniformierte durch das Brandenburger Tor marschierten. Der 30. Januar 1933 markierte für Hitler den Beginn der "größten germanischen Rassenrevolution der Weltgeschichte".

"Und nun, meine Herren, vorwärts mit Gott!", soll Hindenburg Hitlers Kabinett zugerufen haben. Der Maler Max Liebermann, unter anderem Schöpfer des Bildes von der Terrasse des Restaurants Jacob in Nienstedten (Hamburger Kunsthalle), soll beim Anblick der Nazis am Brandenburger Tor gesagt haben: "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen könnte."