Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert kämpft gegen fragwürdige Geschäftsmodelle des sozialen Netzwerks.

Berlin. Wenn Thilo Weichert, 57, so weitermacht, könnte er zum Popstar unter den deutschen Datenschützern werden. Der Mann der Facebook zur Strecke brachte - das könnte man einmal über den Rechts- und Politikwissenschaftler sagen. Aber erstens kann das noch dauern. Und zweitens fehlt ihm zum Popstar das passende Naturell.

Weichert tickt anders. Er ist ein knochenharter Bürgerrechts-Stratege. Er promovierte über den Datenschutz im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, arbeitete in Frankreich und den USA, 1984 bis 1986 saß er für die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, 1991/1992 war juristischer Berater der Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit, danach Datenschützer in verschiedenen Landesämtern.

2003 wäre er beinahe Bundesdatenschutzbeauftragter geworden - aber dann war der Bundestagsmehrheit sein Bürgerrechts-Engagement wohl doch zu ausgeprägt.

Ihm geht es ums Prinzip und nicht um die Person. Und das Prinzip geht so: Wer in Europa Geschäfte machen will, muss sich an die europäischen Regeln halten. Und das tun die Facebooks und Googles eben nicht. Aber diese Regeln sind Weicherts Credo. Weil sie für ihn eine zivilisatorische Errungenschaft sind, mühsam erkämpft gegen rechte und linke Diktaturen in der jüngeren europäischen Geschichte. Regeln, die zu respektieren sind. Sonst sperrt Weichert das Geschäft zu.

Und das darf ein Landesdatenschutzbeauftragter in Deutschland. Zwar nicht sofort - da gibt es erst einmal Zwangsgelder und andere abgestufte Sanktionen. Aber am Ende droht Datenschutzverletzern hierzulande die Einstellung des Geschäftsbetriebs, wenn sie das Regelwerk missachten. Dessen Grundstein haben die Bundesverfassungsrichter 1983 mit dem "Grundrecht auf informationelles Selbstbestimmungsrecht" gelegt. Dieser landläufig als "Volkszählungsurteil" bekannt gewordene Spruch der Karlsruher Richter und die vorausgegangene Datenschutzkampagne gegen den Zensus war für Thilo Weichert wie für viele andere hierzulande der Anfang einer neuen Bürgerrechtskultur.

Das ist lange her. Und gegen das, was jeder Facebook-Benutzer heute an Datenmissbrauch hinnimmt, war die Volkszählung ein Kinderspiel. Heute entblättert jeder freiwillig seine intimsten Daten, schreibt bei Facebook praktisch seinen eigenen Steckbrief - zur Auswertung durch Polizei und private Wirtschaft. Aber, so beobachtet Weichert: Die Datenschutzbewegung nimmt wieder Schwung auf. Eine Bewegung, die Datenschutz zur Systemfrage gemacht hat. "Kampf um Datenschutz ist immer auch Kampf um eine bestimmte Marktordnung", sagt Weichert - und: "Wir haben eine Art transatlantischen Kampf der Kulturen beim Datenschutz." Der Konflikt zwischen den USA und Europa in Bezug auf Bürgerrechte und Datenschutz sei die Auseinandersetzung "zwischen Manchester-Kapitalismus und Sozialer Marktwirtschaft". Weichert sieht "ganz klar Tendenzen, eine Art Manchester-Kapitalismus bei uns zu etablieren, weil die technischen Möglichkeiten dazu gegeben sind. "Unsere Wertevorstellungen ändern sich durch die Vernetzung, durch die Netztechnik", sagt er.

Ohne diese Einordnung würde man kaum die Beharrlichkeit verstehen, mit der Weichert und seinesgleichen vor allem der angelsächsischen Big-Data-Industrie zu Leibe rücken. Den wie aus dem Nichts entstandenen Internet-Giganten, die mit Milliarden von kostenfrei abgeschöpften privaten Datensätzen Milliarden von Dollar-Umsätzen generieren.

Zum Beispiel bei Facebook und Google. Ein "datenschutzwidriges Geschäftsmodell" haben sie bei den Netzwerkgiganten identifiziert, weil sie "deutsches und europäisches Datenschutzrecht verletzen". Notorisch und systematisch. "Wir haben bei Facebook das ganz große Problem, dass sich etwas Rechtswidriges als Kommunikationsstandard in unserer Gesellschaft festgesetzt hat", so hat Weichert es einmal auf den Punkt gebracht. Dazu gehört für ihn auch der "Klarnamenzwang" bei Facebook. Damit ist die Pflicht gemeint, sich nur mit verifizierten persönlichen Daten bei dem Sozialen Netzwerk anmelden zu dürfen. Das aber steht im Widerspruch zum deutschen Telemedien-Gesetz, dem auch Facebook untersteht und das in Paragraf 13 Dienstbetreibern vorschreibt, anonyme Benutzer-Accounts zuzulassen. "Recht auf Anonymität" nennt man das. Mitte Dezember schickte Weichert eine Androhung auf 20.000 Euro Zwangsgeld in die Facebook-Firmenzentrale nach Palo Also (Kalifornien, USA). Zu zahlen, im Fall dass der Klarnamenzwang nicht abgeschafft wird.

Das aber würde im Zentrum des Geschäftsmodells von Facebook einschlagen, denn nur überprüfte personenbezogene Daten haben eben den Wert für die Werbewirtschaft, aus dem Facebook seine Erlöse erzielen will. 20.000 Euro, das ist ein unwesentlicher Betrag für einen Netz-Giganten mit mehr als einer Milliarde Nutzer. Aber darum geht es Weichert nur im Vordergrund. Es geht im Wesentlichen um die Rechtsposition der "Selbstbestimmung", die er in der digitalen Revolution verloren gehen sieht und zu der eben auch das Recht auf Anonymität gehört. So wie es zum Recht auf Selbstbestimmung gehört, dass Facebook nicht jeden per automatischer Gesichtserkennung identifizieren darf. Deshalb hat Weichert mit den Kollegen aus anderen Datenschutzämtern Facebook dieses Jahr dazu gebracht, diese Funktion für ganz Europa abzuschalten. Ein Punktsieg.

Mit dem Aufkommen des Web 2.0 sei der Benutzer nun auch selbst zum Medienschaffenden geworden, Betreiber eigener Web-Seiten, als Blogger oder eben als Nutzer von Sozialen Netzwerken. Diese Praxis habe etwa 2008/09 die allgemeine Bevölkerung erreicht. "Das war auch ungefähr der Zeitraum, in dem wir als Datenschützer begonnen haben, uns Google und dann Facebook näher anzuschauen." Es habe ihn dabei sehr verblüfft, "wie viel Widerstand uns selbst von gestandenen Juristen, aus der Wirtschaft, aus der Verwaltung, entgegen gebracht worden ist, als wir 2011 die Auseinandersetzung mit Facebook begonnen haben", sagt Weichert.

Es gebe schon so manchen, der sage, "der Weichert spinnt, hat der nichts Besseres zu tun?" In der Mehrzahl erlebe er aber positive Rückmeldungen. Es wundere ihn deswegen aber schon, in welchem Umfang zum Beispiel die Suchmaschine Google dennoch genutzt werde, obwohl es eine Reihe von datenschutzkonformen Alternativen gebe. Seine Erklärung: "Ich glaube, dass 70 Prozent der Nutzer in Deutschland dabei ein schlechtes Gefühl haben, aber der Nutzen rechtfertigt es in ihren Augen." Die Datenschutzkonjunktur schwanke eben, sagt Weichert, wie auch die Konjunktur von unbedachter und zum Teil euphorischer Nutzung der modernen Technologien. "Wir Datenschützer hatten in den 1990er-Jahren gar keine Konjunktur." Mit dem 11. September 2001 und den darauffolgenden Anti-Terror-Gesetzen habe die Datenschutz-Konjunktur wieder angezogen.

Mit einem bewusstseinsfördernden GAU, wie er zum Beispiel durch die Finanzmarktkrise die Augen vieler über Missstände an Börsen und in Banken geöffnet habe, könne man beim Datenschutz aber nicht rechnen. Dafür spielten sich die Veränderungen hier zu schleichend ab, meint er. "So arbeiten ja auch die Googles, Facebooks und Apples: Es werden nach und nach Zusatzfunktionen eingeführt, sie erlauben sich subversive neue Kompetenzen, neue Formen der Auswertung und Ausbeutung", meint Weicher. Ein GAU sei da nicht völlig ausgeschlossen, dass also "das Fass einmal überläuft".

Weicherts Bedrohungsszenario ist aber ein anderes: "Wahrscheinlicher ist, dass das Fass immer noch ein bisschen größer gemacht wird, sodass wir ertrinken, ohne es richtig zu merken."