Mehr als jeder Sechste in Deutschland gilt als armutsgefährdet. Neuer Bericht zeigt: Armut ist regional unterschiedlich verteilt.

Berlin. In Baden-Württemberg und Bayern leben laut einem bundesweiten Vergleich nur wenig arme Menschen. Dagegen gelten Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt als Problemregionen mit den meisten Armen in Deutschland. Dies geht aus dem am Donnerstag vorgestellten Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zur regionalen Armutsentwicklung in der Bundesrepublik hervor.

Danach ist seit 2006 die Armutsgefährdungsquote in Deutschland stetig gestiegen und hat 2011 mit 15,1 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Das sind 12,4 Millionen Menschen – rund eine halbe Million mehr als noch 2010.

Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Monatseinkommens für seine Lebensführung zur Verfügung hat. Bei einem Single-Haushalt sind dies weniger als 848 Euro, bei einer Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren weniger als 1781 Euro.

Für den Anstieg der Armut macht der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, „Armutslöhne“ sowie die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse verantwortlich, aber auch Einschränkungen bisheriger Sozialleistungen für Wohnen und Heizen. „Viele Menschen haben Arbeit, aber immer weniger können von ihrer Arbeit leben“, sagte Schneider. „Die guten statistischen Erfolge in der Arbeitsmarktpolitik wie auch der Rückgang der Hartz-IV-Bezieherzahl werden offensichtlich mit einer Amerikanisierung des Arbeitsmarktes erkauft.“

Mit Bremen landet erstmals ein westdeutsches Bundesland auf dem letzten Platz des nun zum dritten Mal vom Verband erstellten Länderrankings. Dort gelten 22,3 Prozent der Bewohner als armutsgefährdet. Nicht viel besser sieht es in Mecklenburg-Vorpommern (22,2) und Berlin (21,1) aus. Weit überdurchschnittliche Armutsgefährdungsquoten haben auch Sachsen-Anhalt (20,5) und Sachsen (19,6). Weit unter dem Bundesschnitt von 15,1 Prozent liegen Baden-Württemberg (11,2), Bayern (11,3) und Hessen (12,7).

Einen besonders negativen Trend zeigt der Bericht für Berlin und das Ruhrgebiet auf. Mit 3,5 Millionen Einwohnern in Berlin und 5 Millionen im Ruhrgebiet bilden beide Regionen die größten Ballungsräume Deutschlands. Mehr als jeder zehnte Einwohner der Bundesrepublik wohnt in einem dieser beiden Gebiete.

In Berlin sprang die Armutsgefährdungsquote von 2010 auf 2011 um 1,9 Prozentpunkte auf 21,1 Prozent, im Ruhrgebiet um 1,5 Prozentpunkte auf 18,9 Prozent. Besonders dramatisch ist laut Bericht die Entwicklung in Dortmund, wo die Quote inzwischen bei 24,2 Prozent liegt, gefolgt von Duisburg (23,5). Negativwerte von über 20 Prozent weisen zum Beispiel auch die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover (22,6) auf, ebenso der Landkreis Goslar (20,1).

Gefordert wird von dem Verband ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der wachsenden Armut. Dazu zählte Schneider die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes und einer Mindestrente sowie die Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze. Schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose sollten durch ein öffentlich gefördertes Beschäftigungsprogramm eine Perspektive erhalten. Kosten würde dies „mindestens zehn Milliarden Euro“. Schneider: „Aber Armutsbekämpfung ist ohne Umverteilung schlechterdings nicht möglich.“

SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht in dem Bericht einen Beleg dafür, „wie zynisch und verlogen die „Alles ist gut-Rhetorik“ der Koalition von Union und FDP ist“. Die Armut wachse trotz guter Wirtschaftslage und positiver Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt dramatisch. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hält dagegen die Entwicklung für nicht alarmierend. „Man sollte die Probleme weder dramatisieren noch kleinreden. Armut ist in einem reichen Land wie Deutschland relativ“, sagte sie.