Gedenkfeiern zu Pogromnacht und Mauerfall vom Diebstahl aller Stolpersteine in Greifswald überschattet. Der Staatsschutz ermittelt.

Berlin. Pogromnacht und Mauerfall - zwei historische Ereignisse des 9. November in Deutschland gehören nach den Worten von Bundespräsident Joachim Gauck untrennbar zusammen. Die junge Generation dürfe die Taten der "Nazi-Barbarei" niemals vergessen, solle aber auch den Mauerfall in ihr Gedenken einbeziehen, sagte Gauck. "Dieses glückliche Geschehen des 9. November 1989 gehört zu dem anderen, bitteren 9. November."

Statt staatlicher Ausgrenzung von Juden gebe es in Deutschland heute ein Rechtssystem, Demokratie und Menschenrechte - auch dank des Einsatzes der Ostdeutschen in der Freiheitsrevolution, betonte Gauck.

Zugleich rief Gauck zur Zivilcourage auf. Man könne nicht immer stark genug sein, "um eine fünfköpfige Clique in ihre Grenzen zu weisen", so das Staatsoberhaupt. Dies könne der Staat auch nicht verlangen. "Aber wir können Zeuge sein."

In ganz Deutschland erinnerten Menschen mit zahlreichen Gedenkveranstaltungen an die beiden Schicksalstage der Deutschen. In Berlin steckten Besucher der Gedenkstätte Bernauer Straße Rosen in das Mauer-Denkmal. Zu Ehren der Holocaust-Opfer wurde eine Mauer mit Namenssteinen eingeweiht. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte, das Gedenken an die Zeit der Teilung Berlins sei heute wichtiger denn je.

Nach Ansicht der Amadeu-Antonio-Stiftung zeigten die Gedenkveranstaltungen, "dass nicht alle, die an den Judenhass von damals erinnern, auch den Antisemitismus von heute bekämpfen". Es sei heuchlerisch, "wenn sich beispielsweise bestimmte christliche Organisationen an Veranstaltungen zum Gedenken an die Pogrome von 1938 beteiligen, gleichzeitig eine Kampagne zum Boykott israelischer Waren ins Leben rufen", sagte die Vorsitzende Anetta Kahane. Auch die Flut von Äußerungen im Zuge der Beschneidungsdebatte offenbare, wie verbreitet der Antisemitismus in Deutschland noch sei.

Vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht sind alle in Greifswald verlegten Steine zur Erinnerung an örtliche Opfer des Nationalsozialismus entwendet worden. Unbekannte entfernten die elf Stolpersteine an verschiedenen Orten in der Stadt "mit roher Gewalt", wie ein Polizeisprecher am Freitag mitteilte. Von einem rechtsextremistischen Hintergrund und einem Zusammenhang zum Jahrestag der NS-Pogromnacht vom 9. November 1938 sei auszugehen. Der Staatsschutz der Polizeiinspektion Anklam ermittelt.

Der Präsident des Polizeipräsidiums Neubrandenburg, Knut Abramowski, sprach von einer "widerwärtigen Tat" und setzte für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, eine Belohnung von 2500 Euro aus. "Ich verurteile diesen hinterhältigen Anschlag aufs Schärfste", sagte Abramowski. Politiker äußerten sich schockiert über die Tat. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betonte angesichts solcher Vorfälle die andauernde Verantwortung, an das Schicksal der Juden zu erinnern. Überfälle auf die jüdische Bevölkerung blieben "nicht in dunklen Geschichtskapiteln, sie sind Schlagzeilen der Gegenwart".

"Es ist besonders beschämend, wenn so etwas ausgerechnet am Jahrestag der Pogromnacht geschieht", sagte der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Nieszery. Von einer "pietätlosen Schändung", die die Opfer des NS-Regimes verhöhnt, sprach der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Wolf-Dieter Ringguth.

Die Stolpersteine sollen in vielen Städten Deutschlands an zur NS-Zeit vertriebene oder getötete Einwohner erinnern. Sie werden seit Jahren von dem Künstler Gunter Demnig vor dem letzten Wohnort der Opfer eingelassen. Sie sollen "die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig halten", heißt es in der Projektbeschreibung.

Schon mehrfach wurden Stolpersteine beschädigt. Erst im Oktober beschmierten Unbekannte im brandenburgischen Zossen eingelassene Steine mit schwarzer Farbe. Die Greifswalder Steine wurden laut Polizei offenbar zwischen Donnerstagnachmittag und Freitagmorgen entwendet.