Künast fordert die Auflösung und Neugründung aller Verfassungsschutzämter in Deutschland. Schünemann wiederum warnt vor Pauschalkritik.

Berlin. Auch ein Jahr nach Auffliegen der rechtsextremen Terrorgruppe NSU reißt die Kritik an den Sicherheitsbehörden nicht ab. Die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, forderte die Auflösung und Neugründung aller Verfassungsschutzämter in Deutschland. Auch die Ombudsfrau für die Opfer der Terroristen, Barbara John, erhob schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) versprach eine weitere selbstkritische Analyse der Sicherheitsarchitektur.

Die rechtsextremen Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zog knapp 14 Jahre unbehelligt von Polizei und Verfassungsschutz durch die Bundesrepublik und soll zehn Menschen ermordet haben. Die Mordserie wurde erst aufgedeckt, nachdem die beiden Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 Selbstmord begangen. Das mutmaßlich dritte NSU-Mitglied, Beate Zschäpe, stellte sich der Polizei und sitzt in Untersuchungshaft. Mit einer Anklageerhebung wird in den kommenden Tagen gerechnet.

Als Konsequenz fordern die Grünen nun eine radikale Reform der Verfassungsschutzämter. „Sie sollten mit neuem Personal und einem eng definierten gesetzlichen Auftrag neu gegründet werden“, sagte Fraktionschefin Künast. Sie stellte zudem infrage, ob jedes der 16 Bundesländer für sich einen eigenen Verfassungsschutz unterhalten muss. Ob Zusammenlegungen möglich sind, müssten die Länder aber selbst entscheiden, sagte sie.

Ein Jahr nach dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle sei weiterhin der größte Skandal in der Geschichte der Sicherheitsbehörden aufzuarbeiten. „Zutage getreten sind eine beispiellose Ignoranz und Unwilligkeit, gepaart mit Dilettantismus und einem verheerenden Kommunikationsdesaster“, bilanzierte Künast.

Auch die rechtlichen Grundlagen gehören nach Ansicht der Fraktionsvorsitzenden auf den Prüfstand. Neu und enger gefasst werden müsse der gesetzliche Auftrag. Gleiches gelte für die erlaubten Mittel, etwa den Einsatz von V-Leuten, verlangte sie.

Misstrauen in Behörden wächst bei Einwanderer

Das Versagen hat nach Auffassung der Ombudsfrau für die Opferangehörigen, Barbara John, auch das Misstrauen der Einwanderer gegenüber den deutschen Behörden verstärkt. Viele von ihnen „denken, die Behörden handelten rein vorurteilsgeprägt“, sagte John der „Frankfurter Rundschau“. Die Enthüllungen des vergangenen Jahres hätten die Wahrnehmung geformt: „Wir sind für viele Behörden weniger wichtig als die Mehrheitsbevölkerung.“

John fügte hinzu, die Aufklärung ziehe sich quälend hin und bringe Erkenntnisse über unvorstellbare Versäumnisse und die Vorurteilslastigkeit der Ermittler. „Das hat die Angehörigen schwer enttäuscht“, betonte die Ombudsfrau.

Warnung vor Pauschalkritik

Bundesinnenminister Friedrich versprach, weiterhin lückenlos aufklären zu wollen. Zudem müsse „die Widerstandsfähigkeit unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gegen Extremismus und Gewalt“ gestärkt werden, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) verteidigte Polizei und Verfassungsschutz gegen Pauschalkritik. Es sei pauschal und einseitig zu behaupten, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten ein prinzipielles Struktur- und Mentalitätsproblem, sagte Schünemann der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Mitarbeiter verdienten es nicht, dass ihre Arbeit ständig abgewertet werde.