Steinbrück begeistert die SPD mit seinem Papier zur Regulierung der Banken. Als möglicher Kanzlerkandidat hat er sein Thema gefunden.

Berlin. Ein Auftritt Peer Steinbrücks ist dieser Tage stets auch eine Inszenierung. Ganz gleich, wo der frühere Finanzminister auftritt und was er eigentlich zu sagen hat, erwartet ihn die große bis dato unbeantwortete Frage: Wird er der Kanzlerkandidat der SPD? Der Raum, in dem diese eine Frage diesmal herumgeistert, befindet sich weit oben im Bundestagsgebäude. Die Presselobby der SPD auf der Fraktionsebene ist proppenvoll, es werden Stühle nachgeholt, viele Medienvertreter müssen dennoch stehen. Dann kommt er, setzt sich, lächelt nicht, spricht ohne große Begrüßung, ohne salbungsvolle Einführungsworte einfach drauflos: Es soll um Inhalte gehen, um die Regulierung des Finanzsystems, um Maßnahmen, mit denen die Märkte seit dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise 2007 endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Zugleich geht es um so viel mehr an diesem Mittwochvormittag in Berlin.

In der SPD ist die Phase eingetreten, in der inzwischen jeder öffentliche Termin der Kandidaten-Troika aus Steinbrück, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Parteichef Sigmar Gabriel auch Hinweise auf mögliche Vorentscheidungen geben kann. Während es um den vermeintlichen Favoriten Steinmeier wieder ruhiger geworden ist und Gabriel im internen Rentenstreit bemüht ist, die Wogen zu glätten, hat sich Steinbrück fulminant zurückgemeldet. Dazu trug seine viel beachtete Rede beim Zukunftskongress der Fraktion vor zwölf Tagen bei, da helfen auch zwei Steinbrück-Biografien, die jüngst veröffentlicht wurden. Und da nützt es nun auch, dass Steinbrück für sich ein Thema gefunden hat, mit dem er allen Zweiflern zeigen will, was er alles kann. Einen "neuen Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte" hat er seinen 30-seitigen Forderungskatalog genannt, mit dem die Machtverhältnisse zwischen Staat und Banken wieder zurechtgerückt werden sollen.

"Kanzlerkandidatenaspirant" nennt man Steinbrück, in dem Wissen, dass er sich die Kanzlerkandidatur natürlich zutraut. Doch bevor das unvermeidliche Thema auf die Agenda rückt, darf man 30 Minuten lang Steinbrück pur erleben. Mit säuerlicher Miene rattert er scharfzüngig seine Sicht der Dinge herunter. Die Politik sei erpressbar geworden, die Banken hätten sich verzockt, der Steuerzahler sei in letzter Instanz der Haftende. Die Politik müsse aber versuchen, "wieder auf Augenhöhe zu kommen", um "entfesselte und entgrenzte" Finanzmärkte zu bändigen. Aber in Sachen Finanztransaktionssteuer heiße es auf EU-Ebene seit Juni dieses Jahres: "Still ruht der See." Er rate den Banken, sich auf diese Debatte einzulassen.

Einen ähnlich schroffen Ton wählt Steinbrück in seinem Papier. Darin wirft er der schwarz-gelben Koalition vor, bei diesen Fragen im Zeitlupentempo zu agieren. Und er wird grundsätzlich: "Diese Krise hat sehr viel mehr gekostet als Geld. In den Augen vieler Bürger verletzt sie die Gerechtigkeitsgebote und den Sinn für Maß und Mitte." Der radikalste Vorschlag lässt sich auf Seite elf unter dem Punkt "Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking" finden. Da muss Steinbrück dann doch einige kritische Nachfragen über sich ergehen lassen. "Natürlich will ich nicht die Deutsche Bank zerschlagen", beschwichtigt er. Und er wisse, dass die Forderung provokant sei. Aber durch die organisatorische Trennung der Geschäftsbereiche könne die Transparenz erhöht werden. Bald sind es 45 Minuten, die Steinbrück in dem für diesen Anlass offensichtlich viel zu kleinen Raum verbringt. Die Nachfragen wenden sich allmählich von der Bankenregulierung ab, sie werden allgemeiner.

Sachte nähert man sich der K-Frage. Steinbrück riecht den Braten schon früh, weicht vorsorglich aus, aber er lächelt jetzt. Wie man dieses Papier innerhalb der SPD verorten solle, will jemand wissen. Er habe sein Papier im Auftrag von Steinmeier erstellt und es mit Gabriel abgestimmt, entgegnet der Kanzleraspirant. Die Lage an den Finanzmärkten sei zu ernst, um sie taktisch für die kommende Bundestagswahl zu instrumentalisieren.

Andere versuchen, Steinbrück in der Rentendebatte einen Dissens zu Steinmeier und Gabriel zu entlocken. Auch das misslingt. Nur zu einer Weisheit, die er allerdings nicht zum ersten Mal preisgibt, lässt sich Steinbrück überreden: Die Programm- und Sachaussagen müssten bei der SPD "in Übereinstimmung sein mit dem, der als Kandidat laufen muss". Draußen muss er noch einmal in die Kameras sprechen. Und wieder soll er sagen, ob es einen Zusammenhang zwischen der K-Frage und seinem Finanzkonzept gibt: "Es ist nicht meine Bewerbungsmappe", sagt Steinbrück.

Inzwischen haben sich auch die Parteiflügel intensiv in sein Papier eingelesen. Etwas Außergewöhnliches geschieht: Sowohl die Parlamentarische Linke (PL) als auch der konservative Seeheimer Kreis sind begeistert. "Da hat Peer Steinbrück einen großen Wurf hingelegt", jubelt PL-Sprecher Ernst Dieter Rossmann. Wo Helmut Schmidt die Richtung gewiesen habe, werde Steinbrück jetzt mit einem sehr ambitionierten Arbeitskonzept konkret. Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs stellt fest: "Wir haben erlebt, wie wir von den Banken vorgeführt wurden. Peer Steinbrück hat mit seinem Konzept den Nagel auf den Kopf getroffen." Für den Gelobten stellen solche Reaktionen eine neue Dimension dar. Parteiinterne Zuneigung war ihm bislang fremd.