Wenige Tage vor Entscheidung über Euro-Stabilisierungsfonds ESM wird das Verfahren durch Befangenheitsantrag belastet.

Berlin. Am kommenden Mittwoch soll in Karlsruhe über das Gesetz zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) entscheiden werden. Wenige Tagedavor wird das Verfahren nun durch einen Befangenheitsantrag belastet. Wie die Zeitung „Die Welt“ (Donnerstagausgabe) berichtet, richtet sich der Eilantrag einer Privatklägerin aus Wuppertal ausgerechnet gegen den Berichterstatter im ESM-Verfahren, Peter M. Huber.

Begründet wird er mit Hubers früherer Tätigkeit im Kuratorium des Vereins "Mehr direkte Demokratie". Über die Klage des Vereins gegen den ESM soll am 12. September vom Zweiten Senat entschieden werden. Zudem soll die Klage inhaltlich durch Äußerungen des Verfassungsrichters inspiriert worden sein.

Erst am 12. Mai hat Huber dem Verein laut Zeitung schriftlich sein Ausscheiden aus dem Kuratorium mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt lief bereits die Vereinskampagne zur Klage beim Verfassungsgericht.

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Von dem Richterspruch am kommenden Mittwoch könnte abhängen, ob im Portemonnaie künftig ein harter oder ein weicher Euro – oder irgendwann eine andere Währung ihren Platz findet. Den Klägern geht es außerdem um nicht weniger als die deutsche Demokratie. Die obersten Richter müssen entscheiden, ob der Bundestag durch den ESM schleichend entmachtet wird. Juristen erwarten, dass das Gericht die Ratifizierungsgesetze passieren lässt – allerdings gegen Auflagen wie eine noch stärkere Parlamentsbeteiligung.

Sollte der Zweite Senat die Beteiligung Deutschlands am ESM untersagen, wären die Folgen jedoch verheerend. Denn mit dem ESM würde ein zentraler Pfeiler im Anti-Krisenplan einstürzen. Zuerst käme es wohl zu einem „Blutbad an den Märkten“, warnt der Chef-Ökonom der UniCredit, Erik Nielsen. Der Euro würde abstürzen, die Zinsen für Staatsanleihen der Problemländer hochschnellen und die Aktienbörsen weltweit in die Knie gehen. Die Euro-Länder müssten sich schleunigst eine Alternative zum ESM einfallen lassen. Sein Vorgänger EFSF hat nur noch 150 Milliarden Euro in den Kassen: zu wenig, um besorgte Anleger zu beruhigen und Spekulanten von Zinswetten gegen die Euro-Zone abzuschrecken.

Der ESM soll Euro-Ländern mit Etatproblemen die Zeit kaufen, die sie brauchen, um ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Dazu soll er mit bis zu 500 Milliarden Euro Staatsanleihen kaufen, direkte Kredite vergeben oder Banken rekapitalisieren. Dafür müsste Deutschland mit bis zu 190 Milliarden Euro geradestehen.

Genau hier liegt aus Sicht der Kläger das Problem: Sie sehen durch die Verträge die Budgethoheit des Bundestages untergraben. Dieses „Königsrecht“ des Parlaments soll sicherstellen, dass niemand außer den gewählten Volksvertretern über die Verwendung der Steuergelder der Bürger entscheidet – um dieses Recht wurden früher Kriege geführt. Die Kläger befürchten, dass sich aus dem ESM parlamentarisch unkontrollierbare Nachschusspflichten ergeben könnten. Der Fonds sei ein „in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbarer Automatismus einer Haftungsgemeinschaft“.

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Das Thema treibt nicht nur Juristen und Gewohnheitskläger um. Rund 37.000 Bürger unterstützen die Klage des Vereins „Mehr Demokratie“ um die frühere Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD): Damit ist sie die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik. Geklagt hatten außerdem eine Reihe von Professoren und andere Euro-Kritiker sowie die Bundestagsfraktion Die Linke.

Das Gericht nimmt die Einwände ernst. Das zeigt schon die Tatsache, dass über die Eilanträge, die Bundespräsident Joachim Gauck eigentlich nur eine Unterzeichnung der Verträge bis zur Entscheidung in der Hauptsache untersagen sollen, mündlich verhandelt wurde. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat in der Verhandlung bereits klargemacht, dass die Verfassung auch in Krisen nicht übergangen werden darf: „Europa fordert den demokratischen Verfassungsstaat – ebenso wie der demokratische Verfassungsstaat Europa fordert.“ Wer dieses Verhältnis zu einer Seite auflöse, verliere die andere. Ungewöhnlich ist auch, dass das Gericht eine Art Zwischenverfahren von mehreren Monaten zur Prüfung der Eilanträge wählte, um sich Zeit für eine inhaltliche Prüfung zu nehmen. Eigentlich gehört diese ins Hauptverfahren.

Es ist also zu erwarten, dass der Zweite Senat schon am Mittwoch klarmachen wird, wohin bei ESM und Fiskalpakt die Reise geht. Es sei nicht zu erwarten, dass die Entscheidung über die Eilanträge nur aus einem Absatz bestehen werde, sagt der Bielefelder Europarechtler Franz Mayer. Er rechne nicht damit, dass das Gericht die Verträge stoppen werde, die Entscheidung werde aber sicher interpretationswürdig sein. „Am Ende werden alle Parteien sagen können, sie hätten gewonnen“, sagt Mayer.

Die Juristen halten es für wahrscheinlich, dass das Gericht der Politik qualifizierte Auflagen für die deutsche Beteiligung am ESM machen wird. Spekuliert wird über eine noch stärkere Beteiligung des Bundestages an der Euro-Rettung, auch könnte der Bundesrat dabei eine größere Bedeutung bekommen. Denkbar ist auch, dass Gauck den ratifizierten Verträgen eine Erklärung beilegen muss, mit der die Beschränkung der deutschen Haftungssumme noch einmal ausdrücklich festgeschrieben würde.

Egal wie es kommt, einfacher wird das Krisenmanagement für die Bundesregierung sicher nicht werden. Und irgendwann, das hat das Gericht bereits in seinem Urteil zum Lissabon Vertrag 2009 klargemacht, wären bei der europäischen Integration definitiv die Grenzen des Grundgesetzes erreicht: Wenn die Krise zur Gründung eines europäischen Bundesstaates führen würde, dem Deutschland beitritt, müssten sich die Deutschen eine neue Verfassung geben. Die Debatte darüber hat bereits begonnen.

mit Material von dapd und Reuters