Immer mehr Rentner in Deutschland nehmen Minijobs an - ob als IT-Spezialist beim alten Arbeitgeber oder Putzkraft im Wolkenkratzer.

Hamburg. Jochen Michalczyk arbeitet wieder. Der 69-jährige IT-Spezialist ist eigentlich vor vier Jahren in Rente gegangen, nun hat sein ehemaliger Arbeitgeber, die Hamburger Otto-Gruppe, ihn zurückgeholt. „Ich habe mich gefreut, als ich Anfang des Jahres den Anruf von Otto bekam“ sagt Michalczyk. Er hatte Lust, „wieder etwas zu tun“.

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Nun betreut Michalczyk die Umstellung des alten EDV-Systems auf eine neue Software. Er ist der erste von rund 50 bis 60 Rentnern, die der Versandhandelskonzern wieder einstellt. Michalczyk erhielt zum 1. Juli einen steuergünstigen Vertrag über 50 Arbeitstage im Jahr. Momentan arbeitet der 69-Jährige an zwei Tagen in der Woche. So wird das begrenzte Kontingent schnell aufgebraucht sein. Der gebürtige Reinbeker hat jedoch Lust auf mehr: Wenn die 50 Tage um sind, möchte er über eine Vertragsänderung verhandeln. Dabei geht es Michalczyk nicht ums Geld: „Ich freue mich natürlich über den Verdienst. Damit es aber weiterhin Spaß macht, ist wichtig, dass das Geld nicht mehr benötigt wird.“ Das zusätzliche Geld verwende er für „nette Extras“ wie die Aktualisierung seiner Technik daheim.

1969 stieg Michalczyk bei Otto ein: Damals suchte das Unternehmen EDV-Nachwuchs. Michalczyk sollte einer der Pioniere des Bereichs werden und stieg bis zum Abteilungsleiter Controlling auf. Mit 63 ging Michalczyk schließlich in Rente, verließ das Unternehmen jedoch nicht komplett. „Ich wollte nicht gleich von 100 auf 0 gehen.“ Er arbeitete für zwei Jahre an zwei Tagen im Monat weiter. „Das war damals der optimale Weg“. Anfangs genoss Michalczyk seine freie Zeit im Ruhestand: „Zu Beginn hat es sich wie Urlaub angefühlt.“ Nach zwei Jahren kam jedoch sein Tatendrang zurück. „Man will wieder etwas tun“, beschreibt Michalczyk das Gefühl heute. Daraufhin begann er, sich kleine Aufgaben zu suchen – machte hier mit, half dort. Und rief schließlich wieder Otto an und fragte, ob es nicht etwas für ihn zu tun gäbe.

"Ich bin dazu verdammt, zu putzen"

Anders Maria Watt. Sie hat sich ihren Lebensabend so nicht vorgestellt. Die 65-jährige Rentnerin putzt regelmäßig die komplette 28. und die halbe 30. Etage in einem der beiden Frankfurter Wolkenkratzer der Deutschen Bank. Mehr als 1000 Quadratmeter Bürofläche muss Watt säubern – trotz schmerzender und vom Orthopäden gespritzter Schulter. „Ich bin dazu verdammt, zu putzen. Meine Rente reicht einfach nicht aus, ein menschenwürdiges Leben zu führen.“

Regale einräumen statt Plackerei beim Putzen, das habe ihr vorgeschwebt, erzählt sie. Doch keine Einzelhandelskette stellt die zierliche Rentnerin ein. Deshalb schmeißt der Wecker sie nun wochentags um 3.00 Uhr aus dem Bett. Dann frühstückt Watt, drückt ihrem Ehemann einen Kuss auf die Wange und macht sich auf den Weg: Rente aufstocken.Seit Anfang vergangenen Jahres hat sie den Job bei einer Reinigungsfirma. Der Stundenlohn liegt unter neun Euro, und oft arbeitet sie mehr als die vertraglich festgeschriebenen zwei Stunden am Tag, um ihr Pensum zu schaffen. Sie ist aber angewiesen auf die 400 Euro, die der Minijob einbringt. Ihre Rente beläuft sich auf 634 Euro, ihr Mann bekommt 211 Euro.

Nach dem Hauptschulabschluss lernte die gebürtige Westerwälderin keinen Beruf und arbeitete als Bürohilfe. 1998 wurde sie arbeitslos, rutschte nach zwei Jahren in Hartz IV. An Altersvorsorge hat Watt damals nicht gedacht: „Wieso auch, das Rentensystem galt ja als sicher“, meint sie. 40 Jahre später kann sie sich keinen Zoo- oder Opernbesuch leisten, geschweige denn eine Reise. „Mein Balkon ist mein Urlaubsort“, sagt Watt. Der Ischias schmerzt, seit kurzem auch die Schulter: „Keine Ahnung, wie lange ich das mörderische Pensum noch durchhalte.“

761.000 Ruheständler gehen arbeiten

Rentner, die zusätzlich arbeiten gehen, sind häufig auf den Zuverdienst angewiesen, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Ruheständler mit einem Minijob um knapp 60 Prozent oder gut 280.000 auf etwa 761.000 gestiegen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit verfügten Ende vergangenen Jahres gut 154.000 Rentner über eine sozialversicherungspflichtige Stelle. Damit hat sich ihre Zahl seit Ende 1999 knapp verdoppelt. Der Großteil dieser Beschäftigten, gut 80.000, habe sogar eine Vollzeitstelle.

Der Rentenexperte der Linksfraktion, Matthias Birkwald, warnte: „Das darf nicht so weitergehen. Wir rennen sehendes Auges in eine Massenaltersarmut. Der Absturz der Renten muss gestoppt werden.“ Die DGB-Vorsitzende von Berlin-Brandenburg, Doro Zinke, verlangte von der Bundesregierung, auf die geplante Senkung des Rentenbeitragssatzes von 19,6 auf rund 19 Prozent im kommenden Jahr zu verzichten, um die Rente „wieder armutsfest zu machen“. Das Bundeskabinett will den Gesetzentwurf dazu am Mittwoch beschließen.

Auch für den Sozialverband Deutschland (VdK) ist die stark gestiegene Zahl von Minijobbern unter den Rentnern ein Beleg für eine wachsende Altersarmut. Die Zahlen seien alarmierend, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Häufig bleibe zudem die Altersarmut unter Rentnern verborgen, weil sich viele alte Menschen scheuten, zum Sozialamt zu gehen. Das Bundesarbeitsministerium verwies hingegen darauf, dass durch Minijob-Reform von 2003 die Zahl dieser Jobs auch bei den unter 65-Jährigen angestiegen ist. Das Wachstum habe sich seit 2006 aber deutlich verlangsamt. 2010 sei die Zahl der über 65-Jährigen mit Minijob sogar gesunken.

Auch sei die Zahl der über 65-Jährigen von 2000 bis 2010 um über drei Millionen Euro gestiegen. 480.000 Menschen über 65 mehr in Minijobs und 75.000 mehr in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seien da „sehr überschaubare Dimensionen“, erklärte das Ministerium. Dass auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten jenseits der 65 stark zugenommen habe widerspreche der These vom überlebensnotwendigen prekären Job im Alter sowie der Mutmaßung, dass Ältere keine Jobs mehr finden. Sie Menschen seien länger fit und aktiv und wollten sich nicht automatisch mit 60, 65 oder 70 aufs Altenteil begeben, betonte das Arbeitsministerium.

Mit Material von dpa/dapd