Hamburger Abendblatt: Herr Al-Wazir, kann man als Grüner angesichts der Umfragen überhaupt noch einen vernünftigen Zweifel daran haben, dass CDU und FDP die Hessen-Wahl gewinnen? Tarek Al-Wazir: Ich warne davor, aus den Umfragen schon das Wahlergebnis herauszulesen. Wir wissen aus der Erfahrung von 25 Jahren, dass man in Hessen tunlichst bis zum Wahlabend warten sollte. Und oft nicht nur bis zur ersten Prognose, sondern bis zum amtlichen Endergebnis.

Hamburger Abendblatt: Was wäre, wenn es für Schwarz-Gelb wider Erwarten doch nicht reichen würde? Tarek Al-Wazir: Dann würde sich die CDU sehr schnell von Roland Koch trennen. Denn wenn einer jetzt den Elfmeter verschießt, der ihm von den anderen geschenkt wurde, dann ist er offensichtlich der falsche Elfmeterschütze. Wir kämpfen dafür, dass es eine Alternative zu Roland Koch gibt. Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht, dann gibt es wieder dieselben rechnerischen Möglichkeiten, die es vor einem Jahr auch gegeben hat: nämlich drei Dreier-Konstellationen oder eine Große Koalition. Und was die angeht, machen wir uns als Grüne keine Illusionen darüber, dass es in der SPD etliche gibt, die sich nach dem Auf und Ab des Jahres 2008 eine Große Koalition wünschen würden. Wir würden selbstverständlich mit allen reden, wie wir das im Februar 2008 auch getan haben. Übrigens als einzige.

Hamburger Abendblatt: Das heißt, Sie wären unter Umständen bereit, sich zum zweiten Mal auf ein rot-grün-rotes Regierungsbildungsexperiment einzulassen? Tarek Al-Wazir: Natürlich würden wir auch über eine Ampelkoaliti-on nachdenken, obwohl eine Zusammenarbeit zwischen FDP und Grünen ja auch nicht gerade logisch ist. Andererseits hat jede Konstellation ihre Schwierigkeiten. So ist das nun mal in einem Fünf-Parteien-System. Eine Zusammenarbeit mit der CDU ist sehr kompliziert. Eine Zusammenarbeit mit der FDP ist sehr kompliziert. Und die Zusammenarbeit mit der Linkspartei ist erst recht kompliziert, das haben wir ja gesehen - da braucht man Sicherungen, also Verlässlichkeit.

Hamburger Abendblatt: Apropos Verlässlichkeit an der hat es ja 2008 nun ganz offenkundig erst mal in der SPD gemangelt, oder? Tarek Al-Wazir: Ja. Und das, obwohl uns die Sozialdemokraten zweimal gesagt haben "Bei uns stehen alle!" und es dann zweimal anders kam. Trotz der geheimen Probe-Abstimmungen, auf denen wir bestanden hatten, weil wir genau das nicht erleben wollten, was dann eingetreten ist.

Hamburger Abendblatt: Und was ist damit, dass die Hessen in ihrer überwältigender Mehrheit gar nicht wollen, dass die Linkspartei mitregiert? Tarek Al-Wazir: Das zeigt, dass Andrea Ypsilanti und die SPD aus ihrem Wahlerfolg nichts gemacht haben. Die Hessen wollten ja nicht Rot-Grün-Rot, sie wollten Roland Koch abwählen. Und das war angesichts der Unbeweglichkeit von CDU und FDP nicht ohne das erste zu erreichen. Das hätte man besser erklären müssen. Der dieser Wunsch nach einem politischen Neubeginn ist in Hessen aber weiterhin vorhanden. In der Bildungspolitik, in der Energiepolitik, in der sehr kaltherzig gewordenen Sozialpolitik. Das ist auch genau der Grund, aus den Umfragen nicht das Wahlergebnis herauszulesen.

Hamburger Abendblatt: Sie sagen, Sie würden am Sonntag mit allen Parteien reden wollen, mit der CDU aber nur unter der Bedingung: "Ohne Roland Koch!" Ist das fair? Beziehungsweise klug? Tarek Al-Wazir: Roland Koch ist jemand, der sehr stark polarisiert. Nehmen Sie nur seine Staatsbürgerschaftskampagne von 1999 oder die Kriminalitätskampagne, mit der er den Landtagswahlkampf 2008 geführt hat. Die Frage, ob er inhaltlich gelernt oder nur die Kommunikation geändert hat, muss sich jeder selbst beantworten. Momentan erleben wir einen kommunikativ weichgespülten Roland Koch, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Und Sie können mir glauben, ich kenne ihn schon sehr lange. Die FDP wäre kein Korrektiv, die will nur schwarze Minister durch gelbe ersetzen und sonst nichts ändern. Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: Ich würde mich freuen, wenn am Sonntag keine schwarz-gelbe Mehrheit zustande käme. Denn dann gäbe es wirklich die Chance für einen Neuanfang in Hessen.