Hoffnung für die Berliner Kassiererin, die 1,30 Euro entwendet haben soll und daraufhin fristlos entlassen worden ist: Ihr Fall geht in die Revision.

Erfurt. Der Streit über die fristlose Kündigung der Berliner Supermarktkassiererin Barbara E., die unter ihrem Spitznamen „Emmely“ bekannt geworden war, geht in eine neue Runde. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat eine Revision in dem Fall wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Damit wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin, das die Kündigungsschutzklage der Mitarbeiterin abgewiesen und bundesweit für Empörung gesorgt hatte, vom obersten deutschen Arbeitsgericht noch einmal überprüft. Einen genauen Termin dafür gibt es noch nicht. (Aktenzeichen: Bundesarbeitsgericht 3 AZN 224/09)

Bei dem Verfahren geht es um eine inzwischen 51 Jahre alte Kassiererin, die im Februar 2008 nach einer Betriebszugehörigkeit von 31 Jahren fristlos gekündigt worden war, weil sie laut ihrem Arbeitgeber zwei Leergutbons im Gesamtwert von 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Das Landesarbeitsgericht Berlin hatte ihre Kündigungsschutzklage wegen des zerstörten Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgewiesen und eine Revision ausdrücklich ausgeschlossen.

Dagegen hatte sich die Frau mit einer sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht gewandt. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter entschieden nun, das Revisionsverfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung zu eröffnen. Begründet wurde dies damit, dass das Bundesarbeitsgericht eine Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt habe. Dabei geht es darum, ob das Verhalten der gekündigten Arbeitnehmerin im Prozess bei der Urteilsfindung als mitentscheidend berücksichtigt werden muss.

Der ehemaligen Kassiererin war vorgeworfen worden, im Prozess vor dem Landesarbeitsgericht mutmaßlich falsche Aussagen gemacht und ehemalige Kollegen belastet zu haben. Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft derzeit die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Frau wegen Vortäuschens einer Straftat.

Mit Blick auf die Entscheidung aus Erfurt erklärte ihr Anwalt Benedikt Hopmann, „Emmely“ sei froh, dass das BAG die Revision zugelassen habe. Die Entscheidung ist nach Ansicht des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels aber „kein arbeitsrechtlicher Freibrief für Bagatell-Straftaten“. Das Gericht sei von seiner Rechtssprechung zur Verdachtskündigung und zur Kündigung bei Diebstahl geringwertiger Gegenstände um keinen Millimeter abgerückt, sagte Heribert Jördis, Arbeitsrechtsexperte beim HDE. Der Verband sei zuversichtlich, dass das BAG in der Revision den Ausspruch der Kündigung für rechtmäßig erachten werde.

Einen neuen Verhandlungstermin nannte das BAG am Dienstag nicht. Nach Auskunft einer Sprecherin werde es bis dahin aber ungefähr noch ein halbes Jahr dauern.

Der Fall von „Emmely“ hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt und Empörung und Protest ausgelöst. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hatte mit Blick auf die Entscheidung der Vorinstanz von einem „barbarischen Urteil von asozialer Qualität“ gesprochen. Später bedauerte er die Schärfe seiner Urteilsschelte, betonte aber, er empfinde das Urteil als unverhältnismäßig. Gewerkschafter gründeten Solidaritätskomitees für die Frau.

In der Vergangenheit wurden immer wieder Arbeitnehmer wegen vermuteter oder tatsächlicher Bagatelldiebstähle entlassen. Leitfall ist das sogenannte Bienenstich-Urteil des BAG aus dem Jahr 1984. Damals hielt das das oberste Arbeitsgericht die Kündigung einer Verkäuferin für zulässig, die ein Stück Bienenstich aus der Auslage genommen und unbezahlt gegessen haben soll. 1999 bestätigte das BAG die Entlassung eines Speisewagenchefs der Bahntochter Mitropa; in seiner Tasche waren ein Stück Schinken, eine Dose Öl sowie bahneigene Kaffeetassen gefunden worden.

Maßgeblich ist in solchen Fällen nicht der materielle Schaden, und auch die Unschuldsvermutung des Strafrechts greift bei einer sogenannten Verdachtskündigung nicht. Entscheidend sei, so auch das Berliner LAG, „ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts dringender Verdachtsmomente noch zumutbar ist oder nicht“.