Um den Lehrermangel in Deutschland zu lindern, hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) vorgeschlagen, Wissenschaftler an die Schulen zu holen.

Hamburg/Berlin. "Am wichtigsten ist, dass jedes Bundesland jetzt einen Plan B entwickelt", sagte Schavan dem Hamburger Abendblatt. "Wenn wir nicht genügend Lehramtsstudierende haben, sollten wir wiederholen, was wir in den Siebzigerjahren in Deutschland gemacht haben. Wir sollten gute Leute an den vielen Hochschulen und Forschungseinrichtungen ansprechen, die sich vorstellen können, mit einem Teildeputat an die Schulen zu gehen."

Vor allem in Naturwissenschaften biete sich das Vorgehen an, fügte die Ministerin hinzu. Auf diese Weise ließen sich "mehr Leute gewinnen, als wir uns vorstellen können". Auch für die Lehrerkollegien an den Schulen sei die Idee "hochinteressant". Der Philologenverband hatte zu Wochenbeginn vorhergesagt, im nächsten Schuljahr würden 30 000 bis 40 000 Lehrer in Deutschland fehlen. Solche Zahlen stifteten Verunsicherung, denn "Lehrermangel bedeutet Bildungsbremse", stellte Schavan fest. Sie selbst verwies darauf, dass bis 2015 rund 300 000 und bis 2020 weitere 160 000 Lehrer aus Altersgründen aus dem Schuldienst ausschieden. "Es gibt in Deutschland nicht mehr genügend Interesse am Lehrerberuf, um diese Lücke zu schließen", sagte die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende.

Schavan zeigte sich grundsätzlich offen für den Vorschlag des Philologenverbands, den Mangel auch mit Lehrkräften aus Osteuropa auszugleichen. Es gebe "viele Naturwissenschaftler in osteuropäischen Ländern, die an deutschen Schulen unterrichten könnten", so die Ministerin. Voraussetzung sei allerdings die europaweite Anerkennung von Berufsabschlüssen und akademischen Abschlüssen. Ein entsprechender Vorschlag des Bildungsministeriums, des Wirtschaftsministeriums und der Integrationsbeauftragten im Kanzleramt werde "von Arbeitsminister Scholz blockiert", kritisierte Schavan.

Die Grünen warnten vor einem Bildungsnotstand. Der Parteivorsitzende Cem Özdemir forderte, mehr Studierende - "auch und vor allem männliche" - müssten für den Lehrerberuf gewonnen werden. Ein weiteres Abwandern von Bewerbern in die Wirtschaft werde "nur durch eine konsequente Aufwertung des Lehrerberufs erreicht".

Der Grünen-Chef verlangte: "Um die Lücken durch die enormen Pensionierungszahlen in den kommenden Monaten und Jahren zu schließen, muss die Kleinstaaterei im Bildungsbereich ihre Grenzen finden." Die Bundesländer müssten über den eigenen Bedarf hinaus Lehrkräfte ausbilden.

Der Philologenverband präzisierte gestern seine Zahlen und forderte ein "Bündel von Notmaßnahmen". Der Vorsitzende Heinz-Peter Meidinger erklärte, die Lücke an fachlich und pädagogisch ausgebildeten Lehrern werde sich im Herbst auf mindestens 30 000 Lehrerstellen belaufen. Besonders betroffen seien Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Wenn Schulleitungen zu wenig Lehrer zugewiesen bekämen, suchten sie Ersatzkräfte auf dem Arbeitsmarkt, hob Meidinger hervor. Diese hätten aber oft keine fachliche oder pädagogische Ausbildung.