Das Umfragehoch der Grünen ist vorbei. Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist die Partei verunsichert von Personalquerelen und dem Kalkül der Kanzlerin.

Berlin. Für glänzende Augen, Applaus und Aufbruchstimmung musste Bärbel Höhn an diesem Wochenende sehr weit reisen. Die Vizechefin der Grünen-Fraktion im Bundestag flog rund 9000 Kilometer weit - von Berlin nach Tokio, um einem historischen Akt beizuwohnen: Am Sonnabend gründete sich die erste grüne Partei in Japan. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima im März 2011 hat sich die dortige Anti-Atom-Bewegung formiert und will es nun von der Straße ins Parlament schaffen. "Tolle Veranstaltung", schrieb Höhn über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter.

Glänzende Augen, Applaus, Aufbruch. Nichts, was Höhn und ihre Partei derzeit aus Deutschland kennen. Nach einem schwindelerregenden Umfragenhöhenflug, dem ersten grünen Ministerpräsidenten und Erfolgen in diversen Länderparlamenten ist die Stimmung in der Bundespartei mittlerweile gedämpft. Die Zustimmungswerte sind mit zwölf bis 13 Prozent wieder da, wo sie vor zwei Jahren waren. Die Parteivorderen verstricken sich in einem Hickhack um die Spitzenkandidatur für 2013. Bei der Energiewende lassen die Grünen ihrer Ankündigung, man werde den Umstieg auf die Erneuerbaren überwachen und vorantreiben, kaum wahrnehmbare Taten folgen. Nach dem großen Rausch ist nun der Kater da.

Die Grünen selbst möchten davon im Moment nicht allzu viel hören. Auch Robert Habeck, Deutschlands einziger "Energiewendeminister" im schleswig-holsteinischen Kabinett, geht es zunächst um die Erfolge: "Betrachtet man die letzten zehn Jahre, muss man feststellen, die Grünen haben sich als dritte, stets zweistellige Partei etabliert, die FDP abgelöst, die Gesellschaft verändert und die Energiewende eingeleitet", sagte Habeck dem Abendblatt. "Aber richtig ist, nicht alle Knabenmorgenblütenträume des letzten Sommers reiften. Zum Teil liegt das sicher daran, dass wir auch Modeströmungen bei den Wählern haben, und die kommen und gehen ohne Logik."

Zum Teil. Das sieht auch der Mainzer Parteienforscher Gerd Mielke so. Dass es die Grünen nicht geschafft haben, ihren Erfolg nachhaltig zu machen, liegt für ihn - zum Teil - auch an äußeren Umständen: "Die Durchführung der Energiewende oder die Debatte um Strompreise ist im Vergleich zur Finanzkrise heute ein Nebenschauplatz", meint er. Ganz anders also, als die schwarz-gelbe Koalition im Herbst 2010 die AKW-Laufzeiten verlängerte oder der Tsunami Japan überrollte. Doch: "Die typischen Verteilungskonflikte und soziale Themen dominieren - und hier liefern andere Parteien als die Grünen die Antworten." Im Moment gebe es kein Thema, bei dem die Leute sagen würden: "Gott sei Dank haben wir die Grünen."

+++ SPD kann hinzugewinnen, Grüne verlieren in der Wählergunst +++

Und das liegt auch an den Grünen selbst. Zwar sitzen sie mit der SPD im selben Boot, aber trotz des nun schon Jahre andauernden Euro-Dramas ist es weiter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die als wichtigste Krisenmanagerin wahrgenommen wird. Trotz Höhenflugs haben die Grünen dagegen kein Rezept gefunden.

Überhaupt die Kanzlerin. "Die Krise der Grünen begann, als Angela Merkel den Atomstrom verabschiedet hat und damit das große grüne Symbolthema neutralisierte. Das war ein kluger Schachzug, den die Partei nicht verschmerzt hat", meint Mielke. Dass Merkel Ende Mai nach dem Rauswurf Norbert Röttgens ihren Vertrauten Peter Altmaier (CDU) zum Umweltminister gemacht hat, hat es den Grünen bei ihrem Kernthema noch schwerer gemacht. Altmaier hatte gleich bei seinem Amtsantritt angekündigt, die Energiewende voranzubringen, und eine ganze Reihe an Themen genannt, um die er sich kümmern wolle. Im jahrelangen Streit um ein Atom-Endlager hat er sich jetzt sogar mit SPD und Grünen verständigt. Einmütig saßen Altmaier und der baden-württembergische grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor einer Woche vor der Presse. Am Donnerstag druckte die "Zeit" ein Doppel-Interview mit Altmaier und Habeck. Der Umweltminister, so viel steht fest, bietet den Grünen deutlich weniger Angriffsfläche und damit weniger Profilierungsmöglichkeiten.

"Altmaier versucht die Probleme zu lösen, die Röttgen ihm hinterlassen hat. Das finde ich gut, und ich will ihn dabei unterstützen, wo er Sinnvolles vorschlägt", sagt Habeck. "Und ich finde es ganz richtig, wenn man die Energiewende nicht parteipolitisch betrachtet und so zerstört, sondern als gesellschaftliches Projekt. Sonst wird das nämlich nichts." Abgrenzen will er sich trotzdem. Dass die CDU für die Energiewende stehe, könne nun wirklich niemand behaupten, findet Habeck.

Wie ernst die Lage in der Partei gesehen wird, hängt von der Grundhaltung ab. Beim linken Flügel kann man eher damit leben, auf einen Prozentpunkt zu verzichten, wenn man dafür den Markenkern bewahrt. Für den Realo-Flügel, der 2013 regieren will, ist das problematischer. Zwölf bis 13 Prozent reichen nicht aus. Unbeantwortet ist aber ohnehin noch die Frage, wie man sich für die Wahl eigentlich aufstellen will. Auch hier spielt die Flügelarithmetik eine große Rolle.

Parteichefin Claudia Roth, links, hat bereits erklärt, als Spitzenkandidatin zur Verfügung zu stehen. Als gesetzt - aber bislang stumm in dieser Frage - gilt Fraktionschef Jürgen Trittin. Doch weil auch er ein Linker ist, ist ein solches Duo für manche nicht machbar. Einige Männer aus dem Realo-Lager hatten jüngst Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt vorgeschlagen - damit aber einen Protestbrief weiblicher Abgeordneter provoziert, die sich über das eigenmächtige Vorgehen mokierten. Für Habeck ist die Frage, wer die Partei führt, "nicht entscheidend, aber auch nicht unwichtig". Politologe Mielke sieht Gefahren: "Die Personaldebatte kann den Grünen schaden."

Von derartigen Querelen sind die Grünen in Tokio noch ein ganzes Stück entfernt. "Japan: Programm und Satzung verabschiedet, Name in Die Gruene Partei geändert, Sprecher für die Partei gewählt, und das alles an einem Tag", twitterte Bärbel Höhn beeindruckt. Doch mit 1000 Mitgliedern ist das auch weniger kompliziert. In Deutschland sind es fast 60-mal so viele - und auch deutlich mehr Probleme.