Ringen um neues Bundestags-Wahlrecht hat begonnen. SPD bietet zügige Gespräche an. Parteienforscher sieht für schnelle Reform schwarz.

Berlin/Osnabrück/Mainz. Die Prognose des Mainzer Parteienforscher ist düster: Bei der Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes wird es vor allem um "machtpolitische Motive" gehen. Deshalb rechnet Jürgen Falter auch nicht mit einer schnellen Umsetzung der Vorgaben aus Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hatte das erst kürzlich reformierte Bundeswahlgesetz am Mittwoch in zentralen Punkten für verfassungswidrig erklärt.

"Ich sehe schwarz, dass die Entscheidung schnell umgesetzt wird, obwohl das in den Grundzügen eigentlich über ein Wochenende geschehen könnte“, sagte Parteienforscher Falter der "Neuen Osnabrücker Zeitung“. Erleichtert zeigte er sich darüber, dass schon kommendes Jahr eine Wahl ansteht, für die das neue Gesetz gebraucht wird. "Wir können uns glücklich schätzen, dass der nicht verschiebbare Termin für die Bundestagswahl 2013 eine klare zeitliche Grenze bis zur Einigung setzt“, sagte er.

Zumindest zu raschen Gesprächen zeigt sich die SPD nach dem Urteil aus Karlsruhe bereit. "Wir sind zu Gesprächen bereit“, versicherte der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann am Donnerstag in einem Brief an die sozialdemokratischen Bundestags-Abgeordneten. Die schwarz-gelbe Koalition habe mit ihrem Vorgehen einen rechtsfreien Raum geschaffen. "Das müssen wir zügig ändern“, heißt es in dem Schreiben.

Vom Verfassungsgericht wurden vor allem Verzerrungen durch Überhangmandate beanstandet, weshalb die SPD jetzt auf Ausgleichsmandate setzt. Die SPD geht deshalb mit einer klaren Vorgabe in die Verhandlungen: "Wir werden mit unserem Vorschlag, alle Überhangmandate auszugleichen, in die Verhandlungen gehen“, schrieb Oppermann an die Parlamentarier. "Die im Zweitstimmenergebnis ausgedrückte Mehrheitsverteilung muss sich in der Sitzverteilung des Bundestages widerspiegeln.“

+++Bundestag reformiert deutsches Wahlrecht+++

Nach Oppermanns Worten wird die Fraktionsspitze das Karlsruher Urteil noch vor dem Ende der parlamentarischen Sommerpause auswerten, um eine Verhandlungsgrundlage zu schaffen. Dabei werde man sich eng mit der Partei und den SPD-Abgeordneten sowie mit den Grünen abstimmen. Deutliche Kritik übte er an Union und FDP: "Die Koalition hat mit den Regeln gespielt und damit das Vertrauen in die Demokratie aufs Spiel gesetzt.“

Egal wie - in gut einem Jahr muss das neue Wahlrecht fertig sein, damit im Herbst 2013 ein neuer Bundestag gewählt werden kann. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass das Karlsruher Urteil auch Auswirkungen auf künftige Landtagswahlen haben könnte.

CDU/CSU gab ihren Weg durch Fraktionsgeschäftsführer Michael Große-Brömer (CDU) vor: „Unser Angebot steht, bereits Ende August/Anfang September mit den anderen Fraktionen in die politischen Verhandlungen zum Wahlrecht einzutreten“, sagte er der "Rheinischen Post".

Nach Ansicht des Düsseldorfer Staatsrechtlers Sebastian Roßner könnte das Urteil auch Auswirkungen auf das Wahlrecht in einigen Bundesländern haben. "Die Chancengleichheit der Parteien gilt auch in den Ländern“, sagte Roßner. Konsequenzen drohen nach seiner Einschätzung aber nur dort, wo es keinerlei Ausgleichsmandate gibt. "Wenn wir ein Land haben, in dem die Überhangmandate vollständig ausgeglichen werden, stellt sich das Problem nicht.“

Auf Bundesebene habe der Gesetzgeber nun zwei Möglichkeiten, erläuterte Roßner. "Er kann versuchen, durch eine Regelung die Zahl der Überhangmandate generell auf 15 zu begrenzen. Dann müsste er keine Ausgleichsregelung schaffen. Oder aber er beschreitet den Weg, den die meisten Landtagswahlrechte haben, und gleicht Überhangmandate aus, indem dann die anderen Parteien Mandate zugeteilt bekommen, so dass der Proporz der Zweitstimmen wiederhergestellt wird. Die Möglichkeit des Ausgleichs ist wahrscheinlich die einfachere.“

Für den Grünen-Rechtsexperten Jerzy Montag ist eine Neuregelung keine Frage der Zeit, sondern des guten Willens. "Ein demokratisches und verfassungsmäßiges Wahlrecht kann bis zum Jahresende im Bundesgesetzblatt stehen“, sagte er der "Berliner Zeitung“. Dafür müssten Union und FDP aber "auf Pfründe verzichten“.

(Mit Materials von dapd, dpa)