Auf dem Parteitag der Hamburger Piraten debattieren die Mitglieder über Bildung und die Euro-Krise. Sie gelten noch immer als Rebellen.

Hamburg. Anne Alter schiebt den Blumenkübel hinter die Tür. "Die sehen so vertrocknet aus", sagt sie. Dann stellt sie sich neben den Briefkasten in der Lippmannstraße 57 und versucht es mit einem Lächeln. Das Foto für die Zeitung, es muss noch sein, sie weiß es. Die Vorsitzende der Hamburger Piratenpartei arbeitet selbst in den Medien. Dass sie diesen Moment genießt, kann man nicht gerade sagen.

Es ist das Geschäft der Politik, das jetzt auch die Piraten mitspielen: Präsent sein in den Medien, Fragen der Reporter beantworten, die Partei vertreten, ohne dabei eigene Standpunkte zu verwischen. "Seit Berlin reiten wir auf einer Welle", sagt Alter. In der Hauptstadt holte die Partei bei den Wahlen im September fast neun Prozent. Die Piraten schließen ihr erfolgreichstes Jahr an diesem Wochenende mit einem Bundesparteitag in Offenbach ab.

Sie gelten als politische Rebellen, als Anti-Partei wie früher die Grünen. Doch seit Berlin gehören die Piraten zum System. Deutschlandweit liegt die Partei bei sechs Prozent, kürzlich waren es sogar zehn. Wäre am Sonntag Wahl, wären die Piraten viertstärkste Fraktion im Bundestag. "Die Leute wählen uns nicht, weil wir gegen Atomkraft sind, sondern weil wir authentisch sind und anecken", sagt Alter. Auch die 45-Jährige fährt nach Offenbach.

400 Anträge stehen zur Debatte, 1000 Mitglieder werden erwartet - mehr als bei den Grünen vergangene Woche in Kiel. Es könnten sogar 1500 werden, denn die Piraten haben keine Delegierten. Jedes Mitglied ist stimmberechtigt. Seit dem Parteitag 2010 ist die Zahl der Mitglieder um gut 50 Prozent auf 18 000 gestiegen. Ein bisschen Anarchie kommt offenbar an.

Die politische Agenda der Piraten steht bisher vor allem für Freiheit im Netz, eine transparente Parteiendemokratie und Datenschutz. Aber mit dem Erfolg bei Wahlen wächst der Druck auf die Piraten, sich "breiter aufzustellen", die "Ein-Thema-Partei reicht nicht mehr", wie es heißt. Offenbach wird ein erster Praxistest für Piraten-Politik. Sind sie doch nur die computerfixierten "Nerds" oder könnten sie auch pragmatisch regieren? Allein 60 Anträge thematisieren die Bildung, 60 weitere Wirtschaft, Finanzen und Euro-Krise.

"Ich sage Journalisten immer: Tut mir leid, zur Euro-Krise haben wir noch keine Richtung in der Partei abgestimmt", sagt Alter. Vielleicht kann sie sich nach diesem Wochenende endlich über den Kurs der Partei äußern.

Finanzen und Euro-Krise - die Piraten fühlen nach, wie viel Establishment in ihnen steckt. Und alle anderen Parteien wäre gerne ein bisschen mehr Pirat. Vor allem Grünen-Politiker wirken seit der Berlin-Wahl angespannt, wenn man sie auf die Piraten anspricht. Die Grünen waren sich stets sicher, attraktiv für die internetaffinen Wähler zu sein. Der Hamburger Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin hält die Piraten eher für ein "One-Topic-Wonder". Die Aufgabe der Grünen müsse es sein, die Mängel der Piraten sichtbar zu machen. "Ich halte sie für eine Jungs-Partei, deren Frauenmangel auch hausgemacht ist", sagt er.

Auch bei den Hamburger Piraten ist nur ein geringer Teil der Mitglieder Frauen. Anne Alter steht seit diesem Herbst ganz oben. Politik ist für sie im Moment noch zeitfressendes Ehrenamt. In Hamburg erzielten die Piraten bei der Wahl im Februar nur gut zwei Prozent. "Die Piraten müssen den anderen Parteien und Politikern auf den Wecker gehen", sagt sie. Zu viel Establishment soll es dann doch nicht sein.