Gesundheitsminister Bahr will mehr Geld für Demenzkranke ausgeben und die private Vorsorge stärken. Geringverdiener könnten im Nachteil sein.

Berlin. Immerhin, die Kabinettskollegen von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zeigten sich offenbar einverstanden: Geräuschlos billigte am Morgen die Bundesregierung Bahrs Pflegereform. Am Mittag aber hatten sich Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände bereits einhellig über die Pflegereform entrüstet. In der Zwischenzeit waren deren Eckpunkte an die Öffentlichkeit gelangt. Aber Details, die über den vor anderthalb Wochen im Koalitionsausschuss beschlossenen Rahmen hinausgehen, wurden nur wenige bekannt.

Der Gesundheitsminister fand dennoch genügend Punkte, die ihn "zufrieden" machten: Vor allem den 1,4 Millionen Demenzkranken solle besser geholfen werden, der Grundsatz "ambulant vor stationär" solle weiter gestärkt werden, pflegende Angehörige sollen mehr Unterstützung erfahren. Konkret heißt das: Die Regierung will Wohnformen für Demenzkranke fördern. Und: Der Medizinische Dienst der Krankenkassen wird patientenfreundlicher, etwa durch unbürokratischere Beratung und Antragsverfahren für Hilfen. Bahrs Pläne sehen zudem vor, jedem Pflegebedürftigen ein Gutachten über seine Rehabilitationschancen zu erstellen. Die Reform soll auch Familien stärken: Wer Demenzkranke zu Hause pflegt, soll sich leichter als bisher eine "Auszeit" nehmen können. Angedacht ist ein Bonus bei der Rente, wenn Angehörige zu Hause gepflegt werden.

Nach Bahrs Vorstellungen werden erste Teile dieser Reformvorhaben schon 2012 umgesetzt - vor der geplanten Erhöhung des Pflegebeitrags um 0,1 Prozent zum 1. Januar 2013. Momentan zahlen Arbeitnehmer 1,95 Prozent ihres Bruttoeinkommens, Kinderlose 2,2 Prozent. Wie genau die zusätzlich fließenden 1,1 Milliarden Euro in der Pflegekasse aufgeteilt werden, blieb auch gestern unklar. Bahr betonte zumindest, dass vor allem Demenzkranke in sehr niedrigen Pflegestufen zusätzliche Leistungen erhalten sollen.

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Vermutlich hätten die Kritiker, die sich gestern so rasch zu Wort meldeten, den Plänen ihren Segen gegeben, wäre der Gesundheitsminister wenigstens bei der Formulierung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs weitergekommen. Ihn soll nach Bahrs Worten ein Beirat bis 2013 noch erarbeiten. Bislang orientieren sich Pflegeleistungen im Wesentlichen an körperlichen Gebrechen, nicht aber an geistigen. Gleichzeitig steigt der Handlungsdruck: Nach Ministeriumsangaben sind momentan 1,4 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Bis 2060 könnte die Zahl der Dementen laut Barmer-GEK-Pflegereport auf 2,5 Millionen steigen. Doch selbst der Großteil der zusätzlichen 1,1 Milliarden Euro wird kaum reichen, um die Kosten für eine bessere Betreuung von Demenzkranken abzudecken, fürchten die Sozialverbände. Auf drei bis vier Milliarden werden die Aufwendungen für eine bessere Betreuung von Demenzkranken beziffert.

Deswegen will Bahr eine Stärkung der privaten Vorsorge vorantreiben. Geplant ist eine private Pflegezusatzversicherung auf freiwilliger Basis, die mit Steuergeld gefördert werden soll.

"Gute Pflege darf nicht vom Geldbeutel abhängen", kritisierte Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier im Abendblatt das Vorhaben. Der Vorschlag der Koalition, einen sogenannten Pflege-Riester einzuführen, sei nicht umsetzbar für Menschen, die ein erhöhtes Risiko einer Pflegebedürftigkeit haben und von privaten Versicherungen abgelehnt oder nur zu hohen Beiträgen versichert werden, erläuterte Stockmeier seine Ablehnung.

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Er sieht vor allem Geringverdiener im Nachteil: "Offen ist auch, wie die Absicherung von Menschen aussehen soll, die nicht über die notwendigen finanziellen Mittel für eine private Zusatzversicherung verfügen. Personen mit niedrigem Einkommen oder Menschen im Hartz-IV-Leistungsbezug haben ohne staatliche Unterstützung keine Möglichkeit, private Vorsorge für die eigene Pflegebedürftigkeit zu treffen."

Mit dem Pflege-Riester käme zusätzlich ein höherer bürokratischer Aufwand auf die pflegebedürftigen Menschen und die Einrichtungen und Dienste aufgrund der getrennten Versicherungssysteme und der Vielzahl an privaten Versicherungen zu, so Stockmeier. Die Diakonie plädiere deshalb für den Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung. Stockmeier forderte, zur Finanzierung der Pflegeversicherung neben den Löhnen und Gehältern weitere Einkommensarten heranzuziehen. "Nach Möglichkeit soll ein ergänzender kollektiver Kapitalstock aufgebaut werden, der den Beitragsanstieg in den kommenden Jahrzehnten abmildern könnte." Stockmeier zeigte sich grundsätzlich ernüchtert über Bahrs Pflegepläne: "Die Enttäuschung vor allem bei den pflegebedürftigen Menschen und den Familienangehörigen wird sehr groß sein. Statt einer umfassenden Reform ist nur ein Reförmchen geplant, das kaum Entlastungen bringen wird."