Die Steuer-Reform soll im Bundesrat blockiert werden. Entlastungen würden in den Hamburger Haushalt ein Loch von 100 Millionen Euro reißen.

Hamburg/Berlin. Wer Grundschülern erklären muss, wie das eigentlich funktioniert mit der Politik, der Koalition und ihrer Opposition, der findet ausreichend musterhaften Lehrstoff in der Debatte um Steuersenkungen. Zum Beispiel so einen Satz vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsident Kurt Beck: "Was Frau Merkel und ihre Koalitionspartner da gestern Abend beschlossen haben, ist im Wesentlichen eine politische Mund-zu-Mund-Beatmung für die sterbenskranke FDP." Es ist eine von vielen Stimmen der Opposition, die gestern die Pläne der Kanzlerin und ihrer Koalition mit den Liberalen zur Senkung der Steuern attackierten.

Es ist Tag eins, nachdem die schwarz-gelbe Koalition nach zähem und langem Ringen verkündet hat, einen Durchschnittsverdiener in zwei Stufen ab 2014 monatlich um knapp 20 Euro zu entlasten. Und Tag eins gehört meist der Opposition. Die Entlastung der Steuerzahler sei mickrig, aber die Belastung für den Haushalt erheblich, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Man prüfe eine Verfassungsklage wegen eines möglichen Verstoßes gegen die gesetzliche Schuldenbremse.

+++ Steuerschätzer rechnen mit plus 40 Milliarden +++
+++ Steuersenkungen von schwarz-gelb droht das Aus +++

Am Sonntagabend hatten die Spitzen der Berliner Koalition, CDU-Chefin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der oberste Liberale Philipp Rösler ihre Entlastungsziele vorgestellt: Der Grundfreibetrag soll um rund 350 Euro angehoben werden. Zudem wird die steuerliche Tarifkurve angepasst, um die sogenannte kalte Progression zu bekämpfen. Nach Berechnungen des Steuerzahlerbundes können Bürger mit einem jährlich zu versteuernden Einkommen ab 56 000 Euro mit einer Ersparnis von 364 Euro rechnen. Bezieher eines Einkommens von 30 000 Euro sparen jährlich 167 Euro. Prozentual allerdings profitieren Geringverdiener am stärksten. Bei einem Einkommen bis 9000 Euro liegt die Ersparnis bei 36 Prozent. Insgesamt sollen 2013 und 2014 alle Einkommen um sechs Milliarden Euro entlastet werden.

Bei der FDP nahm man die Einigung mit Erleichterung auf. Die FDP war bereits mit Steuersenkungsversprechen in den Wahlkampf gestartet, hatte sich aber bislang vor allem an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Zähne ausgebissen. Der hatte sich allerdings am Freitag auf höhere Steuereinnahmen freuen dürfen: Laut Steuerschätzerkreis wird der Fiskus von 2011 bis 2015 fast 40 Milliarden Euro mehr einnehmen, als noch im Mai berechnet worden war.

Die vereinbarten Erleichterungen fallen zwar moderat aus. Dennoch lobte Außenminister Guido Westerwelle im Abendblatt-Interview die Einigung: "Zusammen mit den Beschlüssen von Anfang der Legislaturperiode wird eine vierköpfige Familie im Schnitt um etwa 500 Euro pro Jahr entlastet. Gleichzeitig führen wir die Schuldenaufnahme zurück", sagte Westerwelle. "Das zeigt: Die FDP hält Wort."

Allerdings sieht es mittlerweile so aus, als könnte das Vorhaben der Koalition schon wenige Stunden nach dem Vorstoß scheitern. Im Bundesrat droht den Plänen das Aus. Baden-Württemberg ist dagegen, Bremen, Berlin und Rheinland-Pfalz auch. Sogar CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland äußerte sich im Gegensatz zu anderen CDU-Ministerpräsidenten skeptisch. Sie sehe kaum Spielraum, einer solchen Reform zuzustimmen.

Und auch Hamburg übt Kritik an den Plänen der Koalition. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz warnte vor Steuersenkungen. "Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte muss Vorrang haben. Es gibt keine Spielräume für Steuersenkungen", sagte Scholz dem Abendblatt. Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) kritisierte das Vorhaben der Regierung ebenfalls als "nicht verantwortungsvoll". "Sie unterlaufen die Konsolidierungsbemühungen der Bundesländer", sagte Tschentscher dem Abendblatt.

Nach Einschätzung der SPD-Bürgerschaftsfraktion wird die Steuerentlastung den Haushalt von Hamburg 2013 mit rund 36 Millionen Euro belasten. Im Jahr darauf sollen es 72 Millionen Euro sein. Danach bedeute eine Einsparung im Bund in Höhe von einer Milliarde Euro rund 18 Millionen Euro im Jahr weniger für die Hansestadt.

Dazu sagte der SPD-Fraktionschef Andreas Dressel: "Die schwarz-gelben Steuersenkungspläne reißen neue, millionenschwere Löcher in den Hamburger Haushalt. Ich fordere die Fraktionschefkollegen Dietrich Wersich und Katja Suding auf, den Hamburgern klar zu sagen, wer für die Gegenfinanzierung in Hamburg nach ihrer Meinung bluten soll."