Nun müssen die Fraktionen das Verhandlungsergebnis billigen, das Kanzlerin Angela Merkel eine breite Mehrheit im Bundestag sichern würde.

Berlin. Die Koalitionsparteien haben sich mit SPD und Grünen auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag für die EFSF-Hebel-Modelle geeinigt. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte am Dienstag in Berlin, nun müssten die Fraktionen das Verhandlungsergebnis billigen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel eine breite Mehrheit im Bundestag sichern würde.

Linksfraktionschef Gregor Gysi bezeichnete die geplante Erweiterung des Euro-Rettungsschirms bereits als „nicht hinnehmbar“. „Wir werden auf keinen Fall zustimmen“, sagte Gysi am Dienstag. Um der Krise entgegenzuwirken, müsse die Bundesregierung die „Zockerbanken“ abschaffen und die Geldinstitute verstaatlichen. Am Mittwoch wird der Bundestag über eine mögliche Ausweitung des EFSF abstimmen.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Sylvia Canel kündigte indes gegenüber dem Abendblatt an, erneut gegen den erweiterten Euro-Rettungsschirm zu stimmen. Scharf kritisierte sie den geplanten Kredithebel für die Euro-Hilfen. „Alle Hebel erhöhen auch die Haftung für alle Mitgliedstaaten in Ernstfall. Das möchte ich nicht, deshalb werde ich nicht zustimmen können“, sagte die Hamburger FDP-Abgeordnete.

Ihrer Meinung nach würden jetzt die gleichen Fehler gemacht, wie sie die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Landesbanken gemacht hätten, „die auch nicht wussten, welche Risiken sie mit gebündelten Krediten übernehmen“. Die Folge sei eine faktische Insolvenz der Landesbanken gewesen, die wiederum nur durch den Steuerzahler aufgefangen worden sei. Canel warnte: „So könnte es auch bei gehebelten EFSF enden. Bei den Landesbanken saßen auch viele Politiker im Aufsichtsrat. Das Ergebnis der Aufsicht war nicht überzeugend. Der Deutsche Bundestag ist kein Aufsichtsrat und auch keine Bank. Er sollte sich mit Gesetzen befassen, die durch einen marktwirtschaftlich vernünftigen Rahmen der Finanzwirtschaft und der politischen Schuldenwirtschaft wirksame Grenzen setzen.“

Umstrittener „Hebel“: Die Debatte über eine höhere EFSF-Schlagkraft

Bei der angestrebten Lösung der Euro-Schuldenkrise hat nicht nur die Opposition im Bundestag das Gefühl, die Regierung trickse und rücke nur scheibchenweise mit der Wahrheit heraus. Das bezieht sich vor allem auf die verspätet vorgelegten Pläne für eine höhere Schlagkraft des Rettungsschirms EFSF.

Zwar sind die Verhandlungen kompliziert, und die Brüsseler Unterhändler benötigen für die komplexen technischen Details mehr Zeit. Der Unmut – selbst in der Koalition – ist aber auch Folge teils verwirrender Aussagen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Der gilt als Meister von Andeutungen. Beim „EFSF-Hebel“ beließ es Schäuble manchmal bei Halbwahrheiten. Eine Chronologie der Debatte, in der es im Kern eigentlich weniger um einen klassischen „Hebel“ wie bei risikoreichen Finanzkonstrukten von Banken geht, als eher um zusätzliche Absicherungen und mehr Anreize für Investoren, weiterhin Staatsanleihen von Euro-Problemländern zu kaufen:

16. SEPTEMBER: US-Finanzminister Timothy Geithner fordert bei einem Treffen seiner europäischen Kollegen im polnischen Breslau ein stärkeres finanzielles Engagement der Euro-Staaten. Er legt nahe, die EFSF-Finanzkraft über einen Kredithebel („Leveraging“) zu stärken.

19. SEPTEMBER: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann warnt bei einer Anhörung des Haushaltsausschusses des Bundestages vor einer Banklizenz für den EFSF-Fonds und einer verschleierten Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB).

22./23. SEPTEMBER: EU-Währungskommissar Olli Rehn sagt am Rande der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF), es sei „sehr wichtig, dass wir die Ausweitung des EFSF mit Hilfe eines Hebels erörtern, um seine Wirkung zu verstärken und ihn effektiver zu machen“. Frankreichs Ressortchef François Baroin äußert sich ähnlich.

24. SEPTEMBER: Schäuble sagt bei der IWF-Tagung, natürlich werde der EFSF in einer effizienten Weise genutzt. Zu Forderungen, die Finanzkraft über die EZB zu stärken, sagte Schäuble: „Es gibt andere Formen der Hebelwirkung (...) als den Rückgriff auf die EZB.“

29. SEPTEMBER: In einem Rundfunkinterview sagt Schäuble, er habe das Wort „Kredithebel“ nie verwendet. Was nur die halbe Wahrheit ist: Das Wort nutzte er zwar nicht, aber die Debatte bestätigte er. Im Bundestag sagt Schäuble: Der Haftungsrahmen für die deutschen Steuerzahler von 211 Milliarden Euro werde nicht erhöht. Dies hat niemand gefordert – weder in Washington noch in der Euro-Gruppe.

29. SEPTEMBER: FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle warnt im Bundestag: „Der Rettungsschirm darf nicht zu einer Investmentbank werden – Stichwort „Hebelwirkung“. Warren Buffett hat die Hebelprodukte als Massenvernichtungswaffen bezeichnet. Dieser Unfug muss unterbleiben.“

14. OKTOBER: Schäuble sagt nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, Deutschland und Frankreich zögen an einem Strang. Paris favorisiert aber eine EFSF-Banklizenz und Einbindung der EZB, was Berlin und Bundesbank strikt ablehnen.

15. OKTOBER: Beim Treffen der G20-Finanzminister in Paris kündigt Schäuble bis zum europäischen Gipfel am 23. Oktober in Brüssel ein Paket zur Lösung der Euro-Schuldenkrise an.

18. OKTOBER: In der FDP-Fraktion deutet Schäuble laut Teilnehmern an, dass mit Hilfe der Modelle zur Mobilisierung von Kapital die Euro-Nothilfen auf eine Billion Euro vervielfacht werden könnten.

19./20. OKTOBER: Schäuble legt den Fraktionen in der Nacht die Leitlinien zur Nutzung der EFSF-Instrumente vor. Es fehlen allerdings Modelle, um den EFSF-Fonds möglichst effizient zu nutzen.

21. OKTOBER: Schäuble weist vor dem Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel Berichte zurück, dass es weiter Streit mit Frankreich über die EFSF-Stärkung gebe. Sein französischer Kollege Baroin betont, er halte die Umwandlung des Schutzschirms in eine Bank weiter für die effektivste Lösung zur „Hebelung“. Die Finanzminister verständigen sich am Ende aber auf zwei Optionen ohne EZB-Beteiligung.

23. OKTOBER: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stellt beim Brüsseler Gipfel klar, dass die EFSF-Finanzierung durch die EZB vom Tisch sei. Es würden von den Euro-Ländern zwei Modelle weiter verfolgt.

24. OKTOBER: Den Bundestagsfraktionen werden die beiden Modelle für eine höhere Schlagkraft des Euro-Rettungsfonds übermittelt. (dpa/dapd/rtr/abendblatt.de)