Der Bundestag stimmt heute über die Euro-Hilfen ab. Prominente Koalitionsabgeordnete verweigern sich - auch Sylvia Canel aus Hamburg.

Berlin. Sie wollen standhaft bleiben. Die Zugeständnisse, die zugunsten einer erhöhten parlamentarischen Beteiligung gemacht wurden, halten sie noch immer nicht für ausreichend. Ihr Misstrauen in die Hilfsmaßnahmen ist einfach zu groß, und die Furcht vor weiteren, unüberschaubaren Rettungsaktionen ist ihnen nicht genommen worden. Die Euro-Rebellen innerhalb der schwarz-gelben Koalition wollen heute ihrer früh angekündigten Verweigerung des erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF Taten folgen lassen.

Mit bis zu 13 Neinstimmen und vier Enthaltungen muss Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP rechnen. Für die eigene Mehrheit wird es wohl noch reichen: Die Koalition verfügt im Bundestag zusammen über 330 der 620 Sitze. Die Kanzlermehrheit käme auch dann zustande, wenn 19 Abgeordnete von Schwarz-Gelb ihre Zustimmung verweigern. Auch SPD und Grüne wollen mehrheitlich zustimmen - eine Gefahr für das Gesetz besteht also keineswegs. Doch für die angeschlagene Koalition ist der eigene Rückhalt entscheidend, zumal Merkel bei fehlender Kanzlermehrheit umgehend eine Debatte um die Zukunft der Regierung am Hals hätte.

In mehrfacher Hinsicht geht es heute um viel im Bundestag: Insgesamt soll der EFSF-Fonds mit dem schwer verdaulichen Namen "Europäische Finanzstabilisierungsfazilität" auf 780 Milliarden Euro aufgestockt werden. Vor allem die Hamburger FDP-Abgeordneten hatten in den vergangenen Wochen ihre Zweifel an dem deutschen Bürgschaftsrahmen geäußert, der von 123 Milliarden auf künftig rund 211 Milliarden Euro steigen soll. Für Sylvia Canel bleibt es auch heute dabei: "Ich werde nicht zustimmen", sagte sie dem Abendblatt. "Ich stelle mir einen anderen Weg für Europa vor - ein Europa, das nicht auf Schulden aufgebaut ist." Sie wies zugleich darauf hin, dass die FDP-Fraktion in großer Geschlossenheit dastehe.

Auch Burkhardt Müller-Sönksen, der für die Hamburger Liberalen seit 2005 im Bundestag sitzt, hatte sich lange offengehalten, ob er den Regierungsplänen folgen will. Der Besuch von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der FDP-Fraktion am Dienstag brachte die Entscheidung. Die Argumente des Finanzministers hätten ihn umgestimmt, sagte Müller-Sönksen dem Abendblatt. Seine Begründung: "Ich stimme der Ertüchtigung des EFSF zu, weil wir damit Werkzeuge in die Hand bekommen, um die Staatsschuldenkrise in Europa mit möglichst geringem Schaden für den deutschen Steuerzahler in den Griff zu bekommen." Das bedeute durch das Höchstmaß der Mitwirkungsrechte des Parlaments nicht automatisch, dass Griechenland ohne erhebliche Fortschritte weiter Geld bekommen müsse, stellte Müller-Sönksen klar. Tatsächlich wird der Bundestag gestärkt, er erhält nun Mitbestimmungsrechte in allen Entscheidungen über Euro-Hilfsaktionen. Bisher musste sich die Bundesregierung nur um "Einvernehmen" mit dem Haushaltsausschuss des Parlaments "bemühen".

Doch prominente Parlamentarier der drei Regierungsparteien haben sich davon nicht überzeugen lassen und wollen heute mit Nein stimmen. Trotz der Parlamentsbeteiligung halten sie den vergrößerten Rettungsschirm für ein viel zu schwaches Instrument, um die Schuldenkrise in den EU-Staaten einzudämmen. So schimpfte der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler in der "Bild"-Zeitung: "Wir können dieses Wahnsinns-Poker nicht noch eine Runde weiterdrehen." Deutschland bürge bereits mit einem Milliardenbetrag, der größer sei als der jährliche Bundeshaushalt. Falls auch Italien unter den Rettungsschirm müsse, reichten die beschlossenen Summen nicht mehr aus, rechnete der CSU-Mann vor. "Es bleiben Frankreich und Deutschland, und das schon jetzt hoch verschuldete Frankreich wird dann seinerseits in der Kreditwürdigkeit herabgestuft. Dann ist Deutschland der letzte Euro-Retter in ganz Europa", sagte er. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach beschrieb den EFSF als Maßnahme, mit der man etwas Zeit kaufen könne. "Aber ich befürchte, wir werden die Probleme nicht lösen." Er könne den Weg von einer Stabilitätsunion in Richtung Schuldenunion nicht mitgehen. "Wir müssen die Frage beantworten, wie wir mit Ländern verfahren, die mangels Wirtschaftskraft auf Dauer ihre Staatsaufgaben nicht finanzieren können", sagte er.

Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler, der derzeit einen Mitgliederentscheid über den dauerhaften Rettungsschirm ESM organisiert, nannte den EFSF einen Brandbeschleuniger. Jeder Staat müsse für seine eigenen Schulden zahlen, sonst hätten Defizitsünder keinen Anreiz, sparsamer zu wirtschaften. "Ich bin sicher, dass wir bereits in den nächsten Tagen über eine weitere Ausweitung des EFSF diskutieren werden", fügte er hinzu.

Auch in der SPD mehren sich Stimmen, die ein solches Szenario befürchten. Über ein Täuschungsmanöver Schäubles bei der tatsächlichen Höhe des Euro-Rettungsschirms wird gemunkelt. "Wir erwarten, dass der Finanzminister noch vor der Abstimmung klar Stellung zu den Gerüchten bezieht", sagte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Finanzminister Schäuble müsse umgehend Klarheit schaffen, ob die Ausweitung des EFSF ausreiche.