Zum Abschluss des Wahlkampfes greift der CDU-Spitzenkandidat die FDP an, die SPD gibt sich siegesgewiss, Grüne geraten in die Defensive.

Berlin. In die Quere sind sie sich nicht gekommen am Freitagnachmittag, die Parteien mit ihren Großkundgebungen zum Abschluss des Wahlkampfes. Die SPD traut sich an einen zentralen Ort der Stadt, wo nicht nur mit SPD-Wählern zu rechnen ist: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel stimmen die Anhänger und Wahlkämpfer am Potsdamer Platz auf den Urnengang am Sonntag ein. Die CDU zieht den Kranoldplatz in ihrer Hochburg Lichterfelde vor, wo die Bundeskanzlerin Angela Merkel den Spitzenkandidaten Frank Henkel unterstützt. Auch die Grünen mit einer Kundgebung auf dem Schöneberger Winterfeldplatz und die Linken mit einer Veranstaltung vor dem Schloss in Köpenick bleiben lieber an Orten, wo sie sich des Zuspruchs ihrer Anhänger einigermaßen gewiss sein können.

Der Kranoldplatz in Lichterfelde-Ost: Hier, in Steglitz-Zehlendorf kam die CDU bei der letzten Wahl auf 31 Prozent der Stimmen. "Berlin kann mehr, ich bin davon zutiefst überzeugt", sagt Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel. Steglitz-Zehlendorf, das von der CDU regiert werde, funktioniere weit besser als weite Teile der Stadt. Wenn die CDU im Roten Rathaus einziehe, könne es überall in Berlin besser werden. Nach zehn Jahren des rot-roten Senats sei Berlin die Hauptstadt der Kinderarmut und habe das schlechteste Bildungssystem aller Bundesländer. Sie kritisiert den Berliner Innensenator, der aufgrund der Brandanschläge davor gewarnt hatte, hochwertige Autos in Kreuzberg zu parken. "Provozierendes Parken, das gibt es nicht in der Straßenverkehrsordnung", sagt Merkel.

Der Kranoldplatz ist gut gefüllt. Mehr als 1000 Menschen sind gekommen, um die Bundeskanzlerin und den Spitzenkandidaten beim Wahlkampfabschluss live zu erleben. Viele ältere Berliner sind unter den Zuhörern, aber auch Väter, die ihre Kinder auf den Schultern tragen. Sie erleben den CDU-Spitzenkandidaten Frank Henkel in Angriffslaune.

"Wir haben einen großen Rückstand aufgeholt. Wir haben die Grünen hinter uns gelassen. Aber ich muss Sie bitten, noch einmal bis zur letzten Sekunde für einen Politikwechsel in der Stadt zu kämpfen", ruft Henkel den CDU-Anhängern zu. Er greift direkt die FDP an. "Man macht keinen Wahlkampf auf Kosten Deutschlands", sagt Henkel und meint damit die von der FDP forcierte Debatte um den Euro und die Probleme in Griechenland. Die Berliner Liberalen wollen die Abgeordnetenhauswahl zu einem Votum über die Europapolitik machen.

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Auch die Grünen kritisiert Henkel scharf: "Das hat es in der Stadt noch nicht gegeben, eine Kandidatin, die schon vor der Wahl aufgegeben hat." Es sei "armselig", wie die Grünen um die Machtteilhabe bei der SPD bettelten. Rot-Grün bedeute Stillstand. Rot-Rot sei eine Koalition des Versagens. Henkel stellt sich als Kümmerer dar: als Kümmerer um die Probleme der Menschen, um die S-Bahn, die nicht fährt, um die vereisten Straßen im Winter, um die maroden Schulen. Die Menschen, die in Armut lebten, fänden das mit Abstand nicht so sexy wie der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Fehler hat die Berliner CDU in diesem Wahlkampf keine gemacht. Spitzenkandidat Frank Henkel schlug sich achtbar im Fernsehduell mit Amtsinhaber Wowereit. Verbale Ausrutscher gab es nicht, die Partei trat geschlossen auf. Was nach der Wahl kommt, ob die SPD zu Sondierungsgesprächen einlädt, warten man in der Union gelassen ab.

Auf dem Potsdamer Platz hatte die SPD zum Endspurt viel Prominenz aufgeboten. DGB-Chef Sommer gibt eine persönliche Wahlempfehlung für die SPD ab: "Ich habe selbst in Spandau Plakate geklebt und Werbezettel verteilt." SPD-Landeschef Michael Müller räumt ein, dass der Wahlkampf für die SPD gut laufe. "Aber gute Umfrageergebnisse sind nicht gute Wahlergebnisse", warnt Müller. Am Sonntag gehe es um viel, Berlin brauche stabile Verhältnisse. "Es scheint schick zu sein, herumzuspielen", es gebe da neue Parteien, sagt Müller unter Anspielung auf die Piratenpartei. Aber es müssten Parteien gewählt werden, die Arbeitsplätze und sozialen Ausgleich schafften.

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hält eine "Ruck-Rede". Mittags ist Gabriel im Bezirk Spandau gewesen, um sich dort mit dem Kandidaten für das Amt des Bezirksbürgermeisters, Hartmut Kleebank, und dem Abgeordneten Raed Saleh das Projekt "Stark gegen Gewalt" anzusehen, bei dem Jugendliche Streife laufen.

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Die Stimmung bei den Sozialdemokraten am Potsdamer Platz ist siegessicher. In allen Umfragen der letzten Wochen lag Wowereit mit der SPD deutlich vor der CDU und den Grünen. Diskussionen gibt es jedoch über mögliche Koalitionen. "Niemand in der Partei ist für Rot-Schwarz", sagt ein einflussreicher SPD-Kreisvorsitzender am Freitag. Stattdessen wird überlegt, wie man mit den Grünen zusammenkommen könnte. Zwar liefern sich die beiden Parteien auch am Freitag wieder Scharmützel. Wowereit erklärt am Vormittag, die Grünen befänden sich "im Sinkflug".

Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann kontert auf der Grünen-Veranstaltung, die SPD versuche, von ihrer eigenen Schwäche abzulenken. Tatsächlich aber hat Wowereit die Tür für eine Koalition mit den Grünen ein Stück weiter geöffnet, indem er am Freitag den Ausbau der A 100, gegen den die Grünen sind, zur Disposition stellte. Die Grünen haben sich für ihre Abschlussveranstaltung den Winterfeldplatz in Schöneberg ausgesucht. In der Nähe befindet sich Künasts Wohnung. Ein Heimspiel also. Im Wahlkampf sind die Grünen anfangs angetreten, mit Spitzenkandidatin Renate Künast, dem Regierenden Bürgermeister Wowereit das Rote Rathaus streitig zu machen.

Davon ist an diesem Freitagnachmittag nicht mehr die Rede. Spätestens seit dem Fernsehduell zwischen Renate Künast und Wowereit ist klar, dass die Grünen eine Koalition mit den Sozialdemokraten anstreben und schwarz-grüne Gedankenspiele vorerst aufgegeben haben. Aber dennoch hat es Künast für den Wahlkampfhöhepunkt am Freitag geschafft, hochrangige Unterstützung zusammenzutrommeln. Neben der Bundesvorsitzenden Claudia Roth ist auch der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland, Winfried Kretschmann, aus Baden-Württemberg angereist.

Die Berliner Grünen nehmen die prominente Unterstützung dankend an, sie können sie gut gebrauchen. Ihr neues Wahlkampfziel heißt nun nur noch: in einer Koalition möglichst viel grüne Politik für Berlin durchzusetzen.