SPD und Grüne wollen Angela Merkel bei der Euro-Abstimmung unterstützen. Schaden wäre gewaltig, bekäme sie keine eigene Mehrheit zustande.

Berlin. Geschlossenheit ist ein Wort, das führende Politiker von Union und FDP dieser Tage auffallend häufig in den Mund nehmen. Auch nur daran zu denken, die schwarz-gelbe Koalition könne bei der Abstimmung zur Erweiterung des Euro-Rettungsschirms nicht die eigene Mehrheit erzielen, empfinden manche Koalitionäre als ungehörig. Es werde schon klappen mit der Kanzlermehrheit Ende September, sagen die Optimisten.

Zu diesen Optimisten gehört Unionsfraktionsvize Michael Meister (CDU). Guten Mutes sei er, dass die Koalition eine eigene Mehrheit erhalten werde, sagte er gestern, als er den Zeitplan für die Bundestagsentscheidung bekannt gab. Unterstützung werde auch von SPD und Grünen kommen. Und insofern gebe es keinen Zweifel an einem deutschen Ja. Vor wenigen Tagen hatte sich Meister bei Weitem nicht so entspannt angehört. Dass eine Kanzlermehrheit aus machtpolitischen Gründen notwendig sei und dass das allen Kollegen klar sein müsse, hatte er zuvor betont. Nun aber geht es Meister allein noch ums "deutsche Ja". Tatsächlich wird Merkel auf die Kanzlermehrheit nicht mehr angewiesen sein, wenn Oppositionsstimmen die Verabschiedung des Gesetzes ermöglichen.

Doch so entspannt wie Meister wollen andere Koalitionäre die Lage nicht sehen. Nachdem auch die Hamburger FDP-Abgeordnete Sylvia Canel öffentlich ihr Nein angekündigt und diesen Schritt mit fehlender demokratisch legitimierter Kontrolle begründet hat, hält sich die Unruhe in den Regierungsfraktionen. 19 Abweichler aus den eigenen Reihen könnte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) leisten, ohne dass umgehend die Frage nach ihrer Handlungsfähigkeit gestellt würde. Aber was geschieht mit ihrer Koalition, wenn es tatsächlich die angeblich in der Fraktion kursierende Liste von bereits 23 bekannten Nein-Sagern gibt und die Abstimmung zum koalitionsinternen Fiasko für die Kanzlerin wird?

Das Dossier zur Euro-Krise

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann sieht Merkel dann nicht nur in der Koalition, sondern auch außenpolitisch gedemütigt. "Wenn Schwarz-Gelb bei der Abstimmung über den erweiterten Euro-Rettungsschirm keine eigene Mehrheit bekommt, dann ist Bundeskanzlerin Merkel gescheitert. Eine Bundeskanzlerin ohne eigene Mehrheit im Parlament würde in Europa niemand mehr ernst nehmen", sagte Oppermann dem Abendblatt. Andere Sozialdemokraten wittern sogar schon Neuwahlen. Eine "logische Folge" wäre das, ist Generalsekretärin Andrea Nahles überzeugt.

Die Abstimmung zum Euro-Rettungsfonds EFSF will Merkel aber gar nicht erst mit der Vertrauensfrage verbinden, die sie womöglich verlieren würde. Mit derartigen Maßnahmen hatte Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder (SPD) in seiner siebenjährigen Regierungszeit gleich zweimal Rot-Grün diszipliniert und die Kanzlermehrheit zum eigentlichen Gegenstand von Abstimmungen gemacht. Die Vertrauensfrage - jenes Abstimmungsinstrument, bei dem sich die Regierungschefs nicht nur der absoluten Mehrheit im Parlament vergewissern wollen, sondern vielmehr des vollständigen Rückhalts der eigenen Reihen - verhalf Schröder 2001 noch zur Stärkung der eigenen Stellung. Bei der Abstimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan brachte er mit der Vertrauensfrage vor allem die Grünen auf Linie.

Nachdem die SPD im Mai 2005 die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verloren hatte, zog Schröder diesmal die Vertrauensfrage heran, um die Kanzlermehrheit bewusst zu verfehlen und Neuwahlen möglich zu machen. Schröder erhielt in der Abstimmung nur 151 Stimmen von 595. Im Herbst trat er wieder an - und verlor gegen Merkel. Auch Helmut Kohl nutzte 1982 eine geplante Niederlage bei der Vertrauensfrage, um Neuwahlen herbeizuführen. Zuvor hatte er selbst mithilfe des konstruktiven Misstrauensvotums Kanzler Helmut Schmidt (SPD) gestürzt. Als erster Kanzler hatte Willy Brandt 1972 die Vertrauensfrage gestellt, um mit einer Niederlage den Weg für Neuwahlen zu ebnen.

Von solchen Szenarien ist Merkel weit entfernt, aber die Kanzlermehrheit wird auch bei der Euro-Abstimmung am 29. September als Indikator für das Vertrauen in die Kanzlerin herhalten. Wenn sie heute gemeinsam mit ihren Ministern im Kabinett den Gesetzentwurf zur "Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" - so der Arbeitstitel - verabschiedet, werden die Fraktionen von Union und FDP danach noch reichlich Klärungsbedarf anmelden. Direkt nach der Kabinettssitzung will Merkel daher die Partei- und Fraktionschefs im Kanzleramt zu weiteren Beratungen treffen.

So fordern CDU und CSU im Bundestag, für alle wichtigen Maßnahmen zum Euro-Rettungsschirm EFSF künftig eine umfassende Parlamentsbeteiligung sicherzustellen. Der Bundestag soll demnach über die Hinzunahmen neuer Länder in den EFSF entscheiden dürfen. Veränderungen bei schon beschlossenen Hilfsmaßnahmen und mögliche Aufstockungen des Kapitals sollen ebenfalls Sache des Parlaments sein. Der Haushaltsausschuss könnte dann die Verwendung der Hilfsgelder überwachen. Die Idee eines großen Europa-Ausschusses als Entscheidungs- und Kontrollinstanz ist dagegen vom Tisch. FDP-Chef Philipp Rösler, der selbst ohne Bundestagsmandat auskommen muss, unterstützte gestern die Forderungen aus den Fraktionen: "Klar ist, dass das Parlament das letzte Wort haben muss bei allen wichtigen Entscheidungen. Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Parlamentes."

Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone hatten am 21. Juli eine Stärkung des EFSF beschlossen, der im Mai 2010 aufgebaut worden war, um nach Griechenland weitere Länder mit Notkrediten vor der Pleite aufzufangen. Die effektive Ausleihsumme wird von ursprünglich 250 Milliarden Euro auf nunmehr 440 Milliarden Euro erhöht, der Garantierahmen steigt auf 780 Milliarden Euro. Die Deutschen tragen knapp 30 Prozent der Garantien - damit bald knapp 240 Milliarden Euro.