Bargeld vom Staat bringt Familien weniger als gezielte Förderinstrumente. Bei der Kinderarmutsrate kommt Deutschland auf 8,3 Prozent .

Berlin/Hamburg. Bei der Familienförderung hat Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin Nachholbedarf. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Doing Better For Families" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die gestern veröffentlicht wurde. Obwohl hierzulande im Durchschnitt 146 000 Euro bis zum 18. Lebensjahr eines Kindes für Ausbildung und Familienpolitik ausgegeben werden - im OECD-Schnitt sind es 124 000 Euro -, übt der Bericht Kritik am deutschen Umgang mit Familien.

Der Hauptgrund: Die Geburtenrate liegt in der Bundesrepublik mit 1,36 Kindern weit unter dem OECD-Durchschnitt von 1,76 Kindern. Als wichtigsten Faktor für den Missstand nennt die Organisation die noch immer mangelnde Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. Kinder gingen in Deutschland häufig zulasten der Karriere und der finanziellen Ausstattung einer Frau, so der Bericht. Deswegen werde der Kinderwunsch in Deutschland länger aufgeschoben als in anderen OECD-Ländern, vor allem bei akademisch gebildeten Frauen. Im Vergleich sind die deutschen Frauen, wenn sie ihr erstes Kind bekommen, mit durchschnittlich 30 Jahren die zweitältesten.

Auch die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern seien in Deutschland besonders ausgeprägt. Zudem verbrächten Frauen doppelt so viel Zeit mit der Pflege von Angehörigen als Männer. Deutschland sei zudem das einzige OECD-Land, dessen Steuersystem in Familien mit Kindern Alleinverdiener bevorzuge. Weiter seien die Öffnungszeiten von Kindergärten oft zu kurz. Außerschulische Betreuung werde in Deutschland nur von zehn Prozent aller Grundschüler in Anspruch genommen. Gelobt wird Deutschland allerdings für die Anreize, Väter an der Erziehung zu beteiligen.

Bei der Kinderarmutsrate kommt Deutschland laut OECD auf einen vorbildlichen Wert von 8,3 Prozent - das Mittel liegt bei 12,7 Prozent. In Dänemark allerdings, das am stärksten in die Kleinkindbetreuung investiert, dafür aber Familien nur vergleichsweise geringe Geldsummen zubilligt, ist die Kinderarmutsquote so niedrig wie in keinem anderen OECD-Land. In Israel ist sie dagegen am höchsten.

Grundsätzlich betreibt laut OECD ein Staat besonders erfolgreiche Familienpolitik, wenn er frühzeitig in die Förderung von Kindern investiert. Danach wirkt sich die gezielte Förderung noch vor dem Beginn der Schulzeit am stärksten auf das Sozialverhalten und die kognitiven Fähigkeiten der Kinder aus. Die frühe Förderung mindere soziale Ungleichheit, weshalb besonders Kinder aus sozial schwachen oder bildungsfernen Haushalten davon profitieren. Bares vom Staat, also Steuererleichterungen, Kindergeld und Elterngeld, ist demnach weniger wirksam. Für die familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagfraktion, Miriam Gruß, sind die Ergebnisse ein Alarmsignal an die deutsche Familienpolitik. "Viele Förderinstrumente sind überhaupt nicht bekannt, und viele gehen vermutlich in die falsche Richtung. Ich fordere die Bundesregierung auf, die Evaluation der familienpolitischen Leistungen voranzutreiben und zügig Ergebnisse zu präsentieren", sagte Gruß dem Abendblatt.

Die FDP-Politikerin mahnte, "viel mehr in die frühkindliche Förderung" zu investieren. Bund, Länder und Kommunen seien aufgefordert zu handeln. Man müsse die Bildungsfinanzierung vom Kopf auf die Füße stellen und den Erkenntnissen der Wissenschaft endlich Rechnung tragen. Gruß forderte konkret, besonders in frühkindliche Bildung zu investieren. "In den Kinderkrippen und Kindergärten muss weitaus mehr Personal arbeiten. Die leitenden Mitarbeiter in den frühkindlichen Bildungseinrichtungen sollten einen akademischen Hintergrund vorweisen", sagte Gruß.

Die Hamburger Sozialbehörde verwies darauf, dass die Hansestadt bezogen auf die Kritikpunkte der Studie gut dastehe. Knapp 500 Millionen Euro wurden in diesem Jahr für die Kita-Betreuung ausgegeben - auch, um besondere Angebote für Berufstätige zu schaffen. Diese haben in Hamburg einen Rechtsanspruch auf eine Kita-Betreuung von bis zu zwölf Stunden. Ab dem kommenden Jahr sollen zudem alle Kinder ab zwei Jahren einen Kita-Platz zugesichert bekommen. Der bundesweite Rechtsanspruch gilt erst ab drei Jahren. Bis zum Ende der Legislatur hat Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) außerdem die kostenlose Fünf-Stunden-Betreuung für alle angekündigt.