Ein Team aus bis zu 100 Leuten wird den Sicherheits-Check für deutsche Atomkraftwerke durchführen. Die Opposition spricht von Placebo-Politik.

Berlin. Die Suche nach dem Risiko ist diffizil - und sie beginnt mit der Bestimmung der Gefahrenquellen. Da wären also Erdbeben, Hochwasser oder ein Flugzeugabsturz. Vielleicht könnte es auch einen Terroranschlag geben. Zu rechnen ist mit extremer Hitze, Kälte, Blitzeinschlägen und starkem Regen. Es sind viele Faktoren, die so auf ein Atomkraftwerk einwirken können, dass es schwer beschädigt wird. Das ist mindestens eine der Lehren, die man aus der Katastrophe im japanischen Meiler Fukushima ziehen kann.

Nun sind all diese Ereignisse keine völlig neuen Gefahren, die vorher nicht über Deutschland hätten hereinbrechen können. Trotzdem hat sich die Bundesregierung zur Aufgabe gemacht, alle Kernkraftwerke noch einmal gründlich zu prüfen - um dann entweder nachzurüsten oder den Meiler bei zu hohen Kosten komplett stillzulegen. Gestern haben Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und der Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommission (RSK) die Checkliste vorgestellt, an der diese Prüfung abgearbeitet werden soll. Die wesentliche Schlussfolgerung aus der Japan-Katastrophe sei, dass "naturbedingte Ereignisse hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen unterschätzt wurden", sagte RSK-Vorsitzender Rudolf Wieland.

In Deutschland liegen mehrere Meiler im Südwesten am erdbebengefährdeten Oberrheingraben, darunter Biblis und Philippsburg. Durch Hochwasser bedroht sind unter anderem die norddeutschen Atomkraftwerke Brunsbüttel und Unterweser, die in Nordseenähe an Elbe und Weser liegen. Röttgen befand, mit dem Prüfkatalog sei "weitestgehend alles abgedeckt". Untersucht werden soll bei den Stresstests jetzt, inwiefern die Reaktoren bei genannten Gefahren sicher abgeschaltet werden können, die Kühlung sichergestellt und die Unversehrtheit der Anlagen nach außen gewährleistet werden kann. Es sollen auch Notfallsituationen unabhängig von äußeren Einflüssen unterstellt - etwa Ausfall der Kühlkette, lang andauernder Notstromausfall, beschädigte Brennelemente bis hin zur Kernschmelze - und auch deren Folgen aufgezeigt werden.

Ein Team aus 80 bis 100 Leuten wird die Meiler in sieben Arbeitsgruppen untersuchen. Bis Mitte Mai will die Kommission erste Ergebnisse vorstellen. Bis Mitte Juni, zum Abschluss des dreimonatigen Atom-Moratoriums, will die Regierung eine Entscheidung über die Zukunft der Kernkraft fällen. Beschlossen wird dann auch, ob die derzeit abgeschalteten sieben ältesten Meiler endgültig vom Netz bleiben. Weil die Alt-Meiler eine dünnere Betonhülle haben als die neueren, gilt eine Nachrüstung etwa gegen Flugzeugabstürze als besonders teuer. Hier ist ein dauerhaftes Aus wahrscheinlich.

Allerdings: Dass für die gesamte Überprüfung ein Zeitraum von sechs Wochen angesetzt ist, ist der Opposition zu wenig. "Eine sechswöchige Überprüfung aller 17 Atomkraftwerke ist kein Stresstest, sondern reines Placebo", sagte Grünen-Chefin Claudia Roth dem Hamburger Abendblatt. "In so kurzer Zeit alles auf den Prüfstand stellen zu wollen ist nicht seriös." Die Bundesregierung wolle mit diesem Manöver nur Zeit gewinnen und eigenen Stress abbauen, kritisierte Roth. Alle genannten Gefahren wie ein Flugzeugabsturz oder ein Staudammbruch seien lange bekannt. "Das zeigt, wie unverantwortlich Schwarz-Gelb bei der Laufzeitverlängerung im Herbst agiert hat", so die Parteichefin. Auf die wichtigste Frage, was mit den bereits abgeschalteten sieben Alt-Meilern passiere, sei Röttgen eine Antwort schuldig geblieben. "Wenn ihm die Sicherheit der Menschen wichtiger wäre als der Profit der Atomkonzerne, hätte er bereits jetzt das endgültige Aus der alten Kraftwerke verkünden können." SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte den Stresstest einen Versuch Röttgens, die Öffentlichkeit zu täuschen. Es sei keine neue Prüfung nötig, um zu wissen, dass ältere Atomkraftwerke nicht hinreichend gegen Flugzeugabstürze gesichert sind.

Unterdessen forderten 300 Forscher unterschiedlicher Fachrichtungen die Regierung in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum raschen Atomausstieg auf. Es werde nie möglich sein, Atomkraftwerke risikolos zu betreiben, hieß es in dem Schreiben. Die schwarz-gelbe Koalition ist sich weiterhin uneinig darüber, bis wann der Atomausstieg abgeschlossen sein soll. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) mahnte in der "Bild"-Zeitung: "Die Energiewende muss zügig kommen, sie muss aber machbar und sicher sein." Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) warnte vor "überstürzten Reaktionen". Zuvor hatte FDP-Generalsekretär Christian Lindner das endgültige Aus der sieben Alt-Meiler gefordert.