Gesetz passiert Bundesrat und Bundestag. Zahlreiche Klagen in Karlsruhe erwartet

Berlin. Nach der endgültigen Einigung über die Hartz-IV-Reform mehren sich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelsätze. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sagte nach der Abstimmung von Bundestag und Bundesrat, er sei "nicht ohne Sorge, was eine mögliche Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht betrifft". Auch der der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte vor einem neuen Scheitern des Gesetzes in Karlsruhe. "Wir haben große Zweifel, ob die neuen Hartz-IV-Regelsätze den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes genügen", sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer dem Abendblatt.

Der Verhandlungsführer der Grünen, Fritz Kuhn, zeigte sich überzeugt: "Das wird in Karlsruhe entschieden." Er sprach sich dafür aus, die Hartz-Gesetzgebung gründlich zu überarbeiten. Juristen und Wissenschaftler rechnen mit Klagen gegen die Reform. So nannte der hessische Landessozialrichter Jürgen Borchert, der maßgeblich am Zustandekommen des Hartz-IV-Urteils vom vergangenen Jahr beteiligte war, die Berechnungen für den neuen Regelsatz fehlerhaft. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wies die verfassungsrechtlichen Bedenken zurück. Das Verfassungsgericht habe vergangenes Jahr nicht die Höhe der Regelsätze angeprangert, sondern die Intransparenz der Berechnungen. "Das haben wir korrigiert, und dazu können wir jetzt stehen."

Am Freitagvormittag wurde die Hartz-IV-Reform nach einem mehr als zwei Monate dauernden Verhandlungsmarathon unter Dach und Fach gebracht. Bundestag und Bundesrat verabschiedeten den Kompromissentwurf, auf den sich Union, FDP und SPD in der Nacht zu Montag geeinigt hatten. Die Grünen hatten die Vermittlungsgespräche am Ende der Verhandlungen verlassen. Auch die Linkspartei lehnt den Kompromiss ab.

Vorgesehen ist, dass der Regelsatz für die 4,7 Millionen Langzeitarbeitslosen rückwirkend zum 1. Januar um fünf auf 364 Euro steigt. Der Nachschlag von 15 Euro für drei Monate sowie der erhöhte Regelsatz werden Anfang April ausbezahlt. Zum Jahreswechsel 2011/12 steht eine weitere Erhöhung um drei Euro an. Vorgesehen ist zudem ein Bildungspaket in Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Hiermit sollen Kindern Schulmittagessen, Nachhilfestunden oder die Teilnahme an Musikstunden oder in Sportvereinen gesichert werden. Zudem steht ihnen ein Schulbasispaket zu, das pro Schuljahr 100 Euro für Schulranzen, Hefte, Ordner oder Taschenrechner enthält. Ein Gutschein über 30 Euro soll es Schul- und Kita-Kindern ermöglichen, an eintägigen Ausflügen teilzunehmen. Geplant sind zudem weitere Branchenmindestlöhne, darunter auch in der Zeitarbeit. Der DGB kritisierte jedoch, dass sich die Verhandlungsrunde nicht auf das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" geeinigt habe. SPD und Grüne hatten dies als Bedingung für ihre Zustimmung gemacht, waren dann aber davon abgerückt.

"Equal Pay" sieht vor, dass Leiharbeiter und Stammbelegschaft unter gleichen Bedingungen arbeiten und auch gleich bezahlt werden. Schwarz-Gelb wollte dieses Prinzip erst nach neun Monaten der Entleihung gelten lassen, SPD und Grüne jedoch bereits nach dem ersten Arbeitstag. "Die Bekämpfung von Lohndumping und Missbrauch von Leiharbeit müssen weiter auf der Tagesordnung stehen", forderte DGB-Chef Sommer. "Die Ablehnung der Regierungsparteien von Equal Pay ist ein gesellschaftlicher Skandal." Es sei unverantwortlich, dass vor allem die FDP in dieser Frage blockiere und die Position der Arbeitgeber ergriffen habe. Sommer warnte: "Wir werden weiter Druck machen, bis wir den Grundsatz 'gleicher Lohn für gleiche Arbeit' durchgesetzt haben." Auch die SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig teilte mit, weiterhin für Equal Pay zu kämpfen.

Der DGB kündigte an, seinen Mitgliedern bei einer Klage gegen die Hartz-IV-Reform Rechtsschutz zu geben. Sommer schlug eine "gesellschaftliche Kommission" vor, "die die Vorgaben für ein armutsfestes Existenzminimum erarbeitet". Damit die Hartz-IV-Reform in Kraft tritt, muss Bundespräsident Christian Wulff das Gesetz noch unterzeichnen.