Rechtsextremisten versuchen verstärkt, in sozialen Netzwerken ihr Gedankengut zu verbreiten. Die wehren sich nicht immer erfolgreich.

Wer sich als Neonazi in soziale Netzwerke wie Facebook, StudiVZ oder Wer-kennt-wen einloggt, sollte seine Gesinnung möglichst verbergen. Das rät die NPD. "Was beim Profil zu beachten ist: Anonyme Nationalisten und in gesellschaftlicher Selbstisolation befindliche Kameraden werden hier nicht benötigt. Das Profil sollte möglichst einen offenen Menschen beschreiben. Ein Mensch mit Humor, Beruf, Hobbys, ernst zu nehmenden Interessen, Literatur- und Musikgeschmack", schreibt die Parteizeitung "Deutsche Stimme". Als ganz normale Internetnutzer sollen die Braunen auftreten und ihre Botschaften unterschwellig verbreiten. Der Artikel, erschienen im April 2010, liest sich wie eine Gebrauchsanleitung für soziale Netzwerke. Er erklärt, dass "gruscheln" bei StudiVZ so viel bedeutet wie ein Zwinkern im realen Leben. Aber der NPD geht es nicht um virtuelle Zärtlichkeiten, der NPD geht es um den "Kampf mit modernen Kommunikationsmitteln".

Sam White, so nennt er sich bei Facebook, hat das alles wahrscheinlich nicht gelesen. In seinem Facebook-Profil ist eine große Tätowierung zu sehen. Auf dem fleischigen Rücken prangt ein Adler mit einem lorbeerumkränzten Hakenkreuz in den Klauen. Nur einen Klick weiter posieren White und zwei junge Männer beim Hitlergruß stramm in Bomberjacken, Flecktarnhosen und Springerstiefeln. Den Facebook-Nutzer mit dem Alias "Docteur Streicher" freute das Foto sehr, er drückte am 6. Dezember 2010 den "Gefällt mir"-Knopf darunter. Julius Streicher hieß der Nürnberger Hitler-Freund und Herausgeber des vulgären Nazi-Hetz-Blattes "Der Stürmer". Der virtuelle "Streicher" stammt angeblich aus dem französischen Reims.

Auch deutsche Profile, die sich der rechten Szene zuordnen lassen, findet man bei Facebook. Wenig subtil nennen sich Mitglieder "Doitsches Mädel", "Flo Landser" oder "Harald Immler", dessen erster Buchstabe und Nachname sich zum SS-Chef Himmler zusammenziehen lassen. Ein Name, der deshalb so verabscheuungswürdig ist, weil Heinrich Himmler einer der Hauptverantwortlichen für den Massenmord an mehr als sechs Millionen Juden war.

Etwas weniger eindeutig gestalten NPD-Parteigrößen ihre Profile. Er möge Segeln und Schwimmen, nicht aber die Debatte um ein NPD-Verbot lässt der NPD-Vorsitzende Udo Voigt bei Facebook wissen. Die NPD wird vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Auch Matthias Heyder aus Elbingerode, der im März in den Landtag in Magdeburg einziehen will, fischt im Web 2.0 nach Wählerstimmen. Er ist virtuell mit "Docteur Streicher" befreundet.

"Registriert Euch überall dort, wo es sinnvoll erscheint, also wo bspw. Eure Heimatregion stark vertreten ist", ermuntert die NPD-Postille. Die digitale Offensive zeigt zweifelhaften Erfolg. "Seit diesem Artikel haben die rechten Aktivitäten in sozialen Netzwerken deutlich zugenommen", sagt Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzt. Der Druck der Rechtsextremen wurde im Oktober 2010 so groß, dass sich mehr als 50 soziale Netzwerke zu einer gemeinsamen Kampagne "Soziale Netzwerke gegen Nazis" entschlossen. Eine Woche lang warben sie für Toleranz und Miteinander. Fast 350 000 Mitglieder schlossen sich an.

Doch mit kurzen Kampagnen ist der anhaltenden rechten Unterwanderung nicht beizukommen. Es braucht dauerhafte Gegenwehr - wie das Beispiel der VZ-Gruppe zeigt. Das Unternehmen betreibt die Netzwerke SchülerVZ, StudiVZ und MeinVZ.

Der Mann fürs Grobe dort wirkt alles andere als grob. Lucas Lehmann verkörpert mit seinen schwarzen Ohrringen, den braunen Locken und dem grauen Jackett den Typus digitaler Bohemien aus Berlin-Prenzlauer Berg. Er ist 24 Jahre alt, fast wirken seine Gesichtszüge zu weich dafür, dass er jeden Tag tief in die Schattenwelt des Internets abtaucht. Sein Job: Pornografie, Gewalt, Beschimpfungen, Antisemitismus, Extremismus und Hass von links außen wie rechts außen bei den VZ-Netzwerken abschalten.

Mehr als 17 Millionen Menschen aus dem deutschsprachigen Raum haben dort ein Profil angelegt, Fotos eingestellt und sich mit Freunden verlinkt. Nicht alle halten sich an die Geschäftsbedingungen, die rechte Propaganda oder Volksverhetzung resolut ausschließen. "Das ist unser Unternehmen, wir haben Hausrecht und wir wollen keine Nazis auf der Plattform", sagt Lehmann. Die NPD sei ebenso unerwünscht wie die linksradikale kommunistische DKP.

Um dieses Recht durchzusetzen, beschäftigt die VZ-Gruppe rund 30 Festangestellte, die intern "die Spezialisten" genannt werden. Lehmanns Team macht an 365 Tagen im Jahr von punkt 6 Uhr morgens bis Mitternacht Jagd auf unerwünschte Inhalte. "Wenn Neonazi-Demonstrationen wie gerade in Dresden anstehen, merken wir verstärkt rechte Aktivitäten online", sagt er. Bis zu 100 weitere Mitarbeiter verfolgen dann fragwürdige Inhalte.

"Einerseits betreiben wir aktiv Aufklärung, andererseits können uns Nutzer fragwürdige Inhalte per Mausklick anzeigen, die wir dann löschen." Im verglasten Konferenzraum rattert Lehmann sein Wissen herunter. Er fahndet nach Szene-Modemarken wie "Londsdale" oder "Thor Steinar", rechten Bands wie Nordwind, Zillertaler Türkenjäger oder Lunikoff und allen Formen von Geschichtsrevisionismus. "Danzig, Breslau und Stettin deutsche Städte wie Berlin", reimte einer, kurz bevor ihn Lehmann löschte.

An manchen Tagen hebe er Gruppen mit 20 bis 30 verlinkten Neonazis aus. Nutzer können in den VZ-Netzwerken diese sogenannten Gruppen gründen. Wenn die aber plötzlich "Helle Haut ist ein Zeichen von Adel" oder "Bockwurst statt Döner" heißen, wird das Profil gelöscht.

Wie viel verbotenes Material die Spezialisten finden, will Lehmann nicht sagen. Es sei genug, dass er nicht jedes Hakenkreuz der Polizei melden könne. Nur bei sehr schweren Fällen schalte die VZ-Gruppe die Behörden ein.

Sein Detailwissen zu rechten Schlagworten und Symbolik ist umfangreich. Regelmäßig bildet er die Kollegen fort. "Die Rechten kommunizieren oft verschlüsselt", sagt er. Nicht jeder erkenne auf Anhieb, dass sich hinter Phrasen wie "Umweltschutz ist Heimatschutz", "Todesstrafe für Kinderschänder" oder "Odin statt Jesus" rein rechtes Gedankengut verberge.

Nicht nur die großen Netzwerke versuchen, die Rechten zu unterwandern. Auch kleinere - vermeintlich schwächer kontrollierte - haben sie im Visier. Im Café Moulin in Berlin Friedrichshain sitzt Christine Ziehm. Weiße Bluse, rosa Strickjacke, die 28-Jährige könnte auch in einem amerikanischen Diner der 50er-Jahre servieren. Ihr linker Arm ist komplett tätowiert. Seit Juni betreibt sie "Tattoo-Bastards", ein soziales Netzwerk für Tätowierte und Tätowierer. Rund 1500 Mitglieder haben sich angemeldet.

Das Motto der alternativ ausgerichteten Webseite lautet: "Nur Bastarde sind bunt". Trotzdem hatte Ziehm schnell Probleme mit braunen Gesinnungsgenossen. "Im zweiten Monat tauchten Fotos von Typen in T-Shirts von Rechtsrockbands wie Sturmwehr auf. Dann eintätowierte Runen. Plötzlich sah ich auf einem Foto die Hakenkreuzfahne im Hintergrund, davor ein Typ im Unterhemd." Vier Moderatoren der Webseite und Ziehm sind nun damit beschäftigt, rechte Tätowierungen auszusortieren. "Gelöscht wird bei uns ohne Warnung und Info", sagt sie.

Wie bei den VZ-Netzwerken können die Nutzer mit einem Klick auf fragwürdige Inhalte hinweisen. "Einmal fand ich einen, der hatte Hitler auf den Rücken tätowiert, am Rednerpult, daneben zwei SS-Jungen mit Fahne und Trompete." Christine Ziehm nahm an, dass es nicht mehr schlimmer kommen würde. Sie irrte. "Eines Nachts ruft mich eine aufgebrachte Moderatorin an. Die würden gerade viel rechte Musik tauschen und im Videochat seien sie zu sehen, wie sie sich irgendwelche Drogen in die Nase ziehen." Das war möglich, denn im Chatraum der Plattform können sich Mitglieder frei über ihre Webcams beobachten und auf Musikdateien verlinken. "Da habe ich den Stecker gezogen", sagt Ziehm.

Rund 30 Gefolgsleute der Rechten verließen daraufhin die Plattform. Später hätten sie bei Facebook die "Tattoo-Bastards" niedergemacht, sagt die 28-Jährige. "Sie haben uns Stasi-Methoden vorgeworfen."

Diesen Vorwurf kennt auch Lucas Lehmann. "Bei uns haben sie aus Studi-VZ ein Stasi-VZ gedichtet", sagt er und verweist auf eine Presse-Erklärung der NPD vom Dezember. Darin rät die Partei ihren Anhängern von VZ-Netzwerken ab und wirbt unverhohlen für den Konkurrenten Facebook. Lehmann nimmt es gelassen: "Es gibt kein größeres Kompliment für uns."

Anders als die deutschen Netzwerke drückt Facebook häufiger die Augen zu. Mindestens 15 Profile, die sich der NPD oder ihrem direkten Umfeld zuordnen lassen, gibt es mittlerweile bei dem amerikanischen Branchenriesen. Die Partei ist nicht gesperrt. "Das wird sie auch nicht", sagt eine Unternehmenssprecherin. Denn eine Sperre widerspräche der Facebook-Philosophie von einer offenen Plattform. "Wir stecken auch in dem Dilemma, dass das Internet die Staatsgrenzen aufhebt", sagt sie. Illegales werde zwar auch von Facebook gelöscht. Maßgeblich sei aber das Recht des Heimatlandes des jeweiligen Profilbesitzers. Eine Hakenkreuzfahne ist in Deutschland verboten, in den USA ist sie es nicht.

In Irland, erzählt die Sprecherin, arbeite ein Facebook-Team für Europa hart daran, fragwürdige Inhalte so schnell wie möglich zu identifizieren. Prinzipiell seien bei Facebook alle Inhalte verboten, die verabscheuungswürdig, volksverhetzend, bedrohlich oder pornografisch sind, zu Gewalt auffordern oder Nacktheit oder Gewalt enthalten.

Und so tobt der Kampf ums Mitmach-Internet: Die einen laden zweifelhaftes Material hoch, die anderen löschen es wieder. Der Kampagne "Soziale Netzwerke gegen Nazis" war Facebook im Oktober 2010 ferngeblieben. "Zukünftig soll es aber eine Kooperation geben", sagt die Sprecherin, "jedoch befindet sich Facebook bislang in Deutschland im Aufbau."

Vielleicht muss das Unternehmen mit Sitz im kalifornischen Palo Alto nur seine Mitglieder ernster nehmen. Einer großen Gruppe ist der Umgang mit dem rechten Gedankengut zu lasch. Auf der Facebook-Seite der Initiative "Kein Facebook für Nazis - NPD Seite löschen!" haben bislang mehr als 423 000 Mitglieder den "Gefällt mir"-Knopf angeklickt. Zum Vergleich: Auf der offiziellen NPD-Seite drückten knapp 5000 Unterstützer diesen Button.

Es ist nicht genau auszumachen, aus welchem Land der hakenkreuztätowierte Sam White stammt, eine Budweiser-Reklame im Fotohintergrund deutet auf England, die USA oder Australien hin. Wenige Tage, nachdem die Facebook-Sprecherin seine Bilder gesehen hat, sind sie von der Plattform verschwunden. Wahrscheinlich habe das Team in Irland zugeschlagen, sagt sie. Nur "Docteur Streicher" ist noch immer online und mit 277 Freunden verlinkt. Darunter finden sich anonyme Gestalten wie Ulf Skin aus Norderstedt und Adrien Svastika, aber auch der Landesverband der Hamburger NPD.