Sie sind qualifiziert und wollen weiterkommen. Chancen sehen sie im Ausland.

Hamburg. Sie haben genug von starren Hierarchien, geringen Aufstiegschancen und familienfeindlichen Arbeitsbedingungen. Immer mehr Deutsche, vor allem gut qualifizierte Menschen, ziehen auf der Suche nach lukrativen Jobs und besseren Lebensbedingungen ins Ausland. Laut Statistischem Bundesamt verließen im vergangenen Jahr 145 000 Menschen das Land. Die Hälfte von ihnen war jünger als 35 Jahre. Fast 3700 Menschen kehrten Hamburg den Rücken.

Sönke Hinrichs (29) lebt seit vier Jahren in Schanghai und leitet ein Ingenieursbüro. Nach dem Studium an der Hamburger Wirtschaftsakademie packte er seine Koffer. "Ich wollte etwas bewegen." In China fand er, was ehrgeizige junge Akademiker in Deutschland häufig vermissen: die Chance, eigenverantwortlich zu arbeiten. 120 Chinesen arbeiten mittlerweile unter Hinrichs' Regie. Eine Rückkehr nach Deutschland kann er sich nur schwer vorstellen.

Deutsche Behörden haben sich auf den Trend eingestellt. So bietet die Hamburger Agentur für Arbeit Veranstaltungen zum Thema "Arbeiten und Leben in Europa" an, zu denen jeweils 40 bis 80 Interessierte kommen. "Die Nachfrage ist enorm gestiegen", sagt Knut Böhrnsen, Sprecher der Behörde. "Vor fünf Jahren haben wir diese Info-Kurse nur unregelmäßig angeboten." Die Internationale Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn verhalf 2005 fast 11 000 Jobsuchenden zu einer Arbeit im europäischen Ausland.

Auch Andrea M. (35) nutzte die Hilfe einer Vermittlungsagentur. Obwohl sie ihr Architekturstudium erfolgreich abgeschlossen hatte und Berufserfahrung in zwei renommierten Büros vorweisen konnte, blieb ihr in Deutschland die Karrieretür verschlossen. Über 50 Bewerbungen schickte sie ab. Dann schickte M. ihre Unterlagen an das Royal Institute of British Architects (RIBA), das auch Architekten vermittelt. "Plötzlich hatte ich meinen Job als Projektentwicklerin", sagt sie.

So arbeitete Andrea M. in den vergangenen drei Jahren an der Konzeption eines gigantischen Privathauses mitten in London, das fast 37 Millionen Euro kostete. M. schwärmt nicht nur von ihrer Arbeit, sondern auch vom Arbeitsklima: "Die Atmosphäre ist hier sehr freundlich", sagt sie. So sprechen sich die Mitarbeiter alle mit Vornamen an. Als auch noch ihr Gehalt auf 45 000 Pfund (67 000 Euro) aufgestockt wurde, war für Julia M. klar: Zurück nach Deutschland? "Da habe ich gerade keine Pläne."

Das Leben im Ausland hat Philipp Dyckerhoff (43) schon immer gereizt. Fast zehn Jahre arbeitete der Unternehmensberater in Argentinien, Kolumbien und Portugal. Seit Kurzem lebt der Hamburger mit seiner Ehefrau und den vier Kindern wieder in Deutschland. Doch die Familie plant den Umzug nach Barcelona. "Das Niveau an unseren Schulen ist nicht sehr hoch. Die Förderung von guten Schülern ist verpönt", sagt Dyckerhoff. "Mich nervt diese ewige Gleichmacherei."

Doch nicht nur eine gute Ausbildung seiner Kinder liegt ihm am Herzen. "Im Ausland ist es auch wesentlich leichter, etwas neu aufzubauen. Der Arbeitsmarkt ist flexibler, und es herrscht weniger Bürokratie."

Mark Rehker (29) aus Kiel will sich nicht entscheiden. Karriere und Familienleben gehören für den Vertriebsingenieur zusammen. Seit vier Jahren arbeitet er in Dänemark. "Hier sind die Arbeitsbedingungen flexibler und familienfreundlicher." Während sich Rehker in Deutschland als "Bittsteller" fühlte und um Förderung kämpfen musste, investiert sein dänischer Arbeitgeber gern in ihn. 200 000 Euro sind im diesjährigen Etat für die Weiterbildung von Rehker und 19 Kollegen vorgesehen.

Und: "Wäre ich Familienvater, könnte ich um drei oder halb vier nach Hause gehen, um die Kinder zu betreuen." Als eine Kollegin Rehkers kurz nach der Neueinstellung schwanger wurde, gratulierten die dänischen Kollegen herzlich. "In Deutschland hätte man nur den Kopf geschüttelt."