Die Kernenergie geht in die Verlängerung. Merkel feiert Atom-Kompromiss als “Revolution“, Opposition und Umweltschützer wollen klagen

Hamburg. Nach monatelangen Auseinandersetzungen haben sich die Spitzen von CDU/CSU und FDP endgültig zur Abkehr vom Atomausstieg entschlossen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer "Revolution in der Energieversorgung", deren Ziel ein möglichst rascher Übergang zum Zeitalter der erneuerbaren Energien sei. SPD und Grüne kündigten erbitterten Widerstand an - auch vor dem Bundesverfassungsgericht.

Der Kompromiss sieht vor, dass sieben ältere Atomkraftwerke acht zusätzliche Jahre Produktionszeit bekommen. Für die neueren zehn Reaktoren, die erst ab 1980 ans Netz gingen, sollen es 14 Jahre sein - im Schnitt macht das zwölf Jahre zusätzlich. Die Betreiber sollen sechs Jahre lang von 2011 bis 2016 jährlich 2,3 Milliarden Euro Brennelementesteuer an den Bund und zusätzlich mehrere Hundert Millionen Euro pro Jahr an einen Fonds zum Ausbau erneuerbarer Energien zahlen.

Ursprünglich war nach dem von SPD und Grünen erzielten Atomkonsens geplant, die letzten Reaktoren im Jahr 2021 abzuschalten. Die nun zugestandenen zusätzlichen Produktionsjahre sollen in Strommengen umgerechnet werden, die von alten auf neue Meiler übertragen werden können. Da die Betreiber laut Merkel "erhebliche Summen in die Sicherheit investieren" sollen, könnte es für sie profitabler sein, ältere Meiler kürzer und neuere noch länger laufen zu lassen. Merkel bekräftigte, dass die Koalition ihr Energiekonzept ohne Zustimmung des Bundesrats beschließen will, in dem Schwarz-Gelb keine eigene Mehrheit hat. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), der vergeblich für eine moderate Laufzeitenverlängerung von acht Jahren gekämpft hatte, sprach vom "anspruchsvollsten (Energie-)Programm", das es in Deutschland und international je gegeben habe. Auch die Energieversorger, deren Aktien an der Frankfurter Börse gestern mit deutlichen Aufschlägen gehandelt wurden, lobten die Beschlüsse.

Umweltschützer und Opposition ließen hingegen kein gutes Haar an den Beschlüssen. Die SPD sprach von einer "Kapitulation vor der Atomlobby". NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD) kündigte eine Verfassungsklage an. Die Grünen drohten ebenfalls mit "Widerstand auf allen Ebenen". Hamburgs Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) sagte: "Aus Sicht einer grünen Umweltsenatorin ist die Laufzeitverlängerung für den Ausbau der erneuerbaren Energien äußerst schädlich, vergrößert das ungelöste Problem der Endlagerung und hält eine risikoreiche Technik am Leben, von der Hamburg in einem besonderen Maße betroffen ist", sagte sie dem Abendblatt. Sie warnte die Bundesregierung davor, die Länder nicht in die Entscheidung mit einzubeziehen. Dann würde eine "verfassungsrechtliche Hürde gerissen". Sollte die Verlängerung doch in die Länderkammer gehen, würde sich die schwarz-grüne Koalition wegen unterschiedlicher Positionen enthalten.

"Mit dem Geld, das die Energieunternehmen zahlen, können wir die Netze ausbauen und eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen zugunsten der erneuerbaren Energien ändern", sagte hingegen der Kieler CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher dem Abendblatt. "Außerdem vermeiden wir so den Bau von Kohlekraftwerken, wie ihn die frühere rot-grüne Bundesregierung mit dem Ausstiegsbeschluss damals in Kauf genommen hatte."