Die Kanzlerin erkundet die Energiesituation - Deutschland brauche neben erneuerbaren Energiequellen auch die Kernenergie.

Berlin/Ravensberg. Bis Montag wusste man von dieser Reise nichts. Und das lässt nur zwei Deutungen zu: Entweder wollte Angela Merkel (CDU) ihre "Energiereise" geheim halten, um mit einem politischen Clou aus der Sommerpause zurückzukommen, oder die Kanzlerin hat die Tour spontan angesetzt. Um zu demonstrieren, dass sie entschlossen ist, das Heft in der Energiepolitik jetzt in die Hand zu nehmen. In Berlin neigt man zu dieser zweiten Lesart, denn schließlich war die Debatte um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten und um die geplante Brennelementesteuer in den Koalitionsparteien zuletzt ausgeufert. Sehr zur Freude der Oppositionsparteien.

Die Kanzlerin begann ihre Energiereise gestern Nachmittag an der Ostsee, wo sie sich einen im Besitz der Gemeinde Ravensberg-Krempin befindlichen Windpark anschaute, der Energie für 15.000 Haushalte produziert. Dort hob Merkel die wachsende Bedeutung der Windkraft bei der Stromproduktion hervor. "Aber noch", fügte sie hinzu, "brauchen wir natürlich Brücken." Dazu gehörten die Kernenergie sowie Kohle und Gas. Die Entwicklung müsse "Schritt für Schritt" gehen, denn in einem Industrieland wie Deutschland müsse Energie wirtschaftlich bleiben.

Nächste Etappe der Erkundungsfahrt war der Windkraftanlagenhersteller Nordex in Rostock. Dort informierte sich die Kanzlerin über die Herstellung von Rotorblättern für Windkraftanlagen, und dort stieß auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) zu Merkels Tross. Sellering nutzte die Gelegenheit und appellierte an die Kanzlerin, den Ausbau erneuerbarer Energien in den Mittelpunkt des neuen Energiekonzepts zu stellen, das am 28. September abschließend im Bundeskabinett beraten werden soll.

Seine Landesregierung setze vor allem auf Windkraft, sagte Sellering und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in Mecklenburg-Vorpommern durch den Bau und Betrieb von Windkraftanlagen mittlerweile 3800 Arbeitsplätze entstanden seien. Sellering forderte den Ausbau des Verteilungsnetzes. Es seien mehr leistungsfähige Verbindungen nötig, mit denen an der Küste produzierter Strom ins Landesinnere transportiert werden könne.

Im Ringen um das nationale Energiekonzept geht es vorrangig um die umstrittene Verlängerung der Kernkraftwerk-Laufzeiten. Vor allem die vier Konzerne mit eigenen Atomkraftwerken versuchen, die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geplante Brennelementesteuer zu verhindern und durch die Zahlung eines vertraglich geregelten "Vorteilsausgleichs" zu ersetzen. Dieser Begriff taucht - im Gegensatz zur Brennelementesteuer - übrigens schon im Koalitionsvertrag auf. In Berlin heißt es dazu, die Kanzlerin habe keine Präferenz, klar sei nur, dass nicht beides gleichzeitig komme. Entweder erhebe der Bund eine Brennelementesteuer oder die Konzerne würden eine Ausgleichssumme in einen Fonds zahlen. Fest steht allerdings, dass ein erheblicher Teil dieser Gelder in die Erforschung erneuerbarer Energien fließen soll.

Während in den zurückliegenden Wochen politisch darüber debattiert wurde, ob eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten der Zustimmung des Bundesrats bedarf, in dem Union und FDP mit der verlorenen nordrhein-westfälischen Landtagswahl ihre Mehrheit verloren haben - Juristen halten eine "moderate" Verlängerung um acht bis zehn Jahre ohne Bundesratszustimmung für möglich -, rechnen die Wissenschaftler des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln und der Prognos AG verschiedene Szenarien durch: Was wäre, wenn die deutschen Atomkraftwerke vier, zwölf, 20 oder maximal 28 Jahre laufen würden? Welche Wirkung hätte das jeweils auf die Energieversorgung Deutschlands? Am 27. August, wenn die Bundeskanzlerin in die Hauptstadt zurückkehrt, wollen die Experten ihre Berechnungen der Bundesregierung übergeben.

Was Merkel will, ist weiter unklar. In den Reiseplan lässt sich auch nichts hineininterpretieren. Heute geht es zur Europäischen Energiebörse in Leipzig, wo Klimazertifikate gehandelt werden, und am 26. August reist die Kanzlerin dann ins niedersächsische Lingen, um sich erst das Kernkraftwerk Emsland und anschließend ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk anzusehen. In Lingen wird sie allerdings auch mit den Chefs von E.on und RWE zusammentreffen. Danach stehen noch die Besichtigung der Bioenergie-Heizkraftanlage eines mittelständischen Gartenbaubetriebs in Emsbüren und eines neuen Steinkohle-Kraftwerks im nordrhein-westfälischen Lünen auf dem Programm.

Am 27. August wird Merkel dann das Laufwasserkraftwerk im badischen Rheinfelden, einen Generatoren- und Turbinen-Hersteller in Heidenheim und das hypermoderne "Plus-Energie-Haus" in Darmstadt besichtigen.