Deutschland schrumpft. Die Bundesregierung will mit einer Demografiestrategie gegensteuern. Die Opposition nennt dieses Vorgehen banal.

Berlin. Nachwuchs fördern, Fachkräfte holen und eisern sparen: Als Reaktion auf den demografischen Wandel hat die Bundesregierung gestern eine Strategie beschlossen. Darin ist unter anderem vorgesehen, Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern besonders zu unterstützen und vermehrt Zuwanderer nach Deutschland zu holen.

"Wir werden weniger, und wir werden älter. Diese beiden Tatsachen werden in allen Lebensbereichen ankommen und jeden berühren", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Es sei die Aufgabe des Staates, den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten, damit die Chancen eines länger werdenden Lebens auch genutzt werden könnten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Dienstag bei einer Tagung zur Demografie einen stärkeren Zusammenhalt der Generationen angemahnt. Die Veränderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft verdienten "allerhöchste Aufmerksamkeit" und würden in ihrer historischen Dimension oft unterschätzt, hatte die Kanzlerin deutlich gemacht.

Unter der Überschrift "Jedes Alter zählt" werden in dem neuen Papier Vorschläge gemacht, wie den Folgen der Überalterung begegnet werden kann. Als wesentliche Aufgabe nennt der Bericht die Stärkung der Familie. Vor allem die Arbeitswelt müsse familienfreundlicher werden, so Friedrich. Wesentlich sei ferner eine "Entzerrung der Rushhour des Lebens", also der Zeit von Familiengründung und Berufseinstieg oder Karrierebeginn. Bei den meisten jungen Menschen in Deutschland gebe es einen "abstrakten" Kinderwunsch. Dieser werde dann aber aus unterschiedlichen Gründen nicht verwirklicht. Deshalb müsse der Staat bessere Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehörten etwa familienorientierte Studiengänge und eine Verbesserung haushaltsnaher Dienstleistungen.

Nach Ansicht von Bundesfamilienminister Kristina Schröder (CDU) gewinnt die Familie durch den Wandel an Bedeutung. "In der Familien finden Menschen Rückhalt, Schutz und Unterstützung, die weit über die Leistungsfähigkeit der staatlichen Solidargemeinschaft hinausgeht."

An weiteren Handlungsfeldern nennt das Papier, ein selbstbestimmtes Leben im Alter zu fördern, die Lebensqualität in ländlichen Räumen zu verbessern, die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand zu sichern sowie die Handlungsfähigkeit des Staates zu gewährleisten, etwa durch den Abbau der Verschuldung. Als wesentliche Herausforderung für ländliche Regionen nannte Friedrich den Ausbau der Breitbandverbindungen für das Internet. Nicht mehr überall werde es künftig in der Nähe ein Landratsamt oder ein Rathaus geben.

Die Bevölkerungszahl Deutschlands ist nach Angaben aus dem Innenministerium seit 2003 rückläufig und betrug im März 2011 etwa 81,7 Millionen. Bis 2060 wird sich die Bevölkerung auf 65 beziehungsweise 70 Millionen Menschen reduzieren. Das Geburtenniveau ist in Deutschland dauerhaft niedrig, gegenwärtig bekommen Frauen im Durchschnitt etwa 1,4 bis 1,5 Kinder. Seit über 150 Jahren steigt die Lebenserwartung in Deutschland kontinuierlich an, pro Jahr um etwa drei Monate. Gegenwärtig liegt die Lebenserwartung Neugeborener bei 77,5 Jahren bei Jungen und bei 82,6 Jahren bei Mädchen.

Für die SPD sind die Pläne trotzdem nur heiße Luft. "Die angebliche Demografiestrategie der Bundesregierung ist weder neu noch strategisch. Sie ist nur ein Potpourri längst bekannter Regierungspläne. Vieles davon ist banal", sagte die Sozialexpertin der SPD-Bundestagsfraktion, Anette Kramme. Natürlich brauchten Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern mehr Förderung. Leider äußere sich die Bundesregierung nicht dazu, wie genau sie fördern wolle.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte einen Kurswechsel bei der Rente. "Zu einer nachhaltigen Demografiestrategie gehört, dass sich auch die Jüngeren auf eine anständige Alterssicherung verlassen können", sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn aber die Rentenkürzungen der Politik weiter durchschlagen, wird der Sinkflug der Rente zu einem Sturzflug." Die Regierung müsse aufhören, den Rentenbeitragssatz zu senken und die Rücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung "auf Kosten der jüngeren Generationen zu verfrühstücken".

Der Wissenschaftler Reiner Klingholz warf der Politik Versagen vor. Seit vier Jahrzehnten hätten die Verantwortlichen Zeit gehabt, sich auf den demografischen Wandel einzustellen, schreibt der Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der Bericht der Bundesregierung sei keine Strategie, "sondern eine kleinteilige Bestandsaufnahme" von Programmen, die ohnehin bereits existierten, so Klingholz. "Eine wirkliche Strategie müsste erstens auf einer schonungslosen Analyse aufbauen, zweitens ein langfristiges, klares Ziel vorgeben und drittens erklären, mit welchen Eingriffen dieses Ziel unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Möglichkeiten zu erreichen wäre."