Der Chef der zweitgrößten Kasse, Norbert Klusen, geht in den Ruhestand und hinterlässt Millionengewinne, warnt aber vor Finanzlöchern.

Hamburg. 962 Millionen Euro Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr, 11 700 Mitarbeiter bundesweit, davon 2900 in Hamburg, dazu eine wachsende Kundschaft. Mit diesen Zahlen hätte jeder Topmanager einen Platz im Olymp der Unternehmerschaft sicher. Die Zahlen sind das eine, sagt sich Prof. Norbert Klusen, 64. Auf Auszeichnungen und Lobhudeleien legt er doch herzlich wenig wert. Schließlich gibt er "seinen" Laden jetzt an einen Jüngeren ab. Und wer wie Klusen im Job und im Leben ins Feuer geschaut hat, der hat einen klaren Blick auf die Dinge.

Denn die Techniker Krankenkasse, an deren Spitze Klusen 19 Jahre stand, ist nicht etwa eine Aktiengesellschaft. Seine Teilhaber sind acht Millionen Versicherte, die TK eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Doch er hat Deutschlands zweitgrößte Kasse nach der Barmer GEK und vor der ebenfalls in Hamburg beheimateten DAK Gesundheit wie ein Unternehmer geführt. "Da blieb kein Stein mehr auf dem anderen", sagte Klusen dem Abendblatt.

+++ Ärzte begrüßen neue Regelungen zur Organspende +++

Das hatte zum einen mit den Gesundheitsreformen zu tun, unter denen Patienten, Ärzte und Kassen gleichsam litten. Und mit dem bürokratischen Mief, den sich die Gesundheitskolosse heute nicht mehr leisten können. Dafür gibt es Kennzahlen wie Ausgaben für Verwaltung oder Mitarbeiterzahl im Verhältnis zu Versicherten. Klusens TK hat bei allem Rekorde aufgestellt. Außerdem kam die TK wegen ihrer vielen Arbeitszeitmodelle und des guten Betriebsklimas mehrfach unter die Top Ten der besten deutschen Arbeitgeber. Einmal gewann sie den Pokal.

Klusen treibt aber die Sorge um das deutsche Gesundheitswesen um. "Schon 2013 wird der Gesundheitsfonds nicht mehr zu 100 Prozent ausgestattet sein. Die nächste Bundesregierung wird außerdem wieder eine Gesundheitsreform auf den Weg bringen." Gegen den Fonds hatte er lange vergeblich gekämpft. Die schwarz-rote Bundesregierung mit Ministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte beschlossen, dass alle Kassenbeiträge staatlich festgesetzt und in einem Finanzpool gesammelt werden. Das hat zu erheblichen Turbulenzen, Kassenpleiten, Mitgliederwanderungen und Zusatzbeiträgen geführt. Klusen navigierte den Tanker TK gut durch die Untiefen.

Und doch sagt er: "Am liebsten würden wir die Beiträge wieder selbst erheben." Denn er will weg vom Staat, will mit der Marktmacht von acht Millionen Versicherten mehr Wettbewerb erreichen. Dass die Kassen durch die gute Konjunktur Milliardenüberschüsse haben, weckt die Rufe nach Rückzahlungen an die Versicherten.

Klusen beharrt darauf, dass das Geld in einer alternden Gesellschaft künftig gebraucht wird: "Ich würde nichts lieber tun, als an unsere Versicherten eine Prämie auszuzahlen. Die Versicherten müssten diese Prämie aber versteuern. Wir geben unseren Versicherten das Geld lieber über Leistungen zurück und über die Beitragsstabilität. Die Versicherten sind eher dafür, dass sie auch in Zukunft keinen Zusatzbeitrag zahlen müssen. Das haben unsere Befragungen ergeben." Bis Ende 2014 garantiert die TK, dass keine Extraprämie erhoben wird.

Klusen selbst hat eine schwere Erkrankung lange verschwiegen. Aber die chronische Entzündung der Gallengänge belastete die Leber - er brauchte eine Transplantation. Klusen hatte nach langem Warten Glück, es fand sich ein Spender. Die neue Lösung findet Klusen gut: "Wir begrüßen es, wenn die Bereitschaft zur Organspende künftig auch auf der elektronischen Gesundheitskarte vermerkt wird." Wichtig sei: "Jeder kann sich entscheiden, ich möchte niemanden zur Organspendebereitschaft zwingen."

Klusen war einer der Kassenchefs, die sich von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vorhalten mussten, dass sie ja so viel verdienen. Genüsslich kommentierte sie einmal im Jahr, wenn die Gehälter im Bundesgesetzblatt veröffentlich wurden, dass 290 000 Euro im Jahr doch recht viel Geld seien. In der Industrie, wo Klusen herkommt, ist das für Topmanager mickrig. Als Schmidt sich in ihrr Dienstwagenaffäre lächerlich machte, hätte Klusen hämisch replizieren können. Das wäre ihm zu billig gewesen. Lieber erzählte er Bürgermeister Ole von Beust im privaten Kreis, dass Gesundheit ein Riesenthema ist, wie viele Arbeitsplätze in Hamburg davon abhängen, dass die Politik zu viel Murks veranstaltet. 1000 Jobs hat die TK in Hamburg unter Klusens Führung neu geschaffen.

Als Nachfolger kommt jetzt Jens Christian Baas, ein Mediziner von Hause aus. In den Vorstand rückt aber auch Thomas Ballast vom Kassenverband vdek. Klusen hat bald wieder mehr Zeit für seine Frau und die vier Kinder. Er könnte wie nach der Operation vor einigen Jahren sagen: "Jemand hat mir ein neues Leben geschenkt."