Der Kanzlerin fehlt erst die Handynummer, dann erreicht sie den Kandidaten im Taxi. Gaucks Zeit beginnt, erst mal mit netten Anekdoten.

Hamburg. Politik lebt auch von Anekdoten. Sie spinnen sich um eine Person, sie erzählen die Zeitläufte in Legenden, schmücken sie mit Fußnoten aus. Angela Merkel, zum Beispiel, schwitzte am 9. November 1989, wie an jedem Donnerstagabend damals, in der Sauna, als sie vom Mauerfall erfuhr.

Sonntagabend begann in Deutschland wieder eine neue Etappe, weit weniger bedeutend als der Mauerfall, doch dass die Menschen nun - zwei Jahre später als gewollt - ihren Präsidenten der Herzen bekommen, ist auch Historie. Und um die Person Joachim Gauck spinnen sich bereits die ersten Anekdoten. Als der Konsenskandidat um 21.17 Uhr zwischen den Spitzenpolitikern auf dem Podium sitzt, berichtet Gauck, ein wenig mitgenommen, von den zurückliegenden Stunden. Wie er im Flieger aus Wien saß, nichts ahnend, und in Berlin landete. Wie er im Taxi vom Flughafen in Tegel eigentlich nach Hause fahren wollte und dann der Anruf von Merkel kam.

Gauck fuhr nicht nach Hause, sondern mit dem Taxi direkt ins Kanzleramt, stößt zu den Partei- und Fraktionschefs, für die Buletten und Kartoffelsalat aufgetischt sind. Der 72-Jährige - nach eigenem Bekunden "noch nicht mal gewaschen" - kommt herein, setzt sich dazu. Er habe zu Tränen ergriffen gewirkt, schildert es später einer der Anwesenden. Und Gauck machte deutlich: Er kann jetzt nichts essen. Keinen Bissen, die Aufregung. Dann geht es auch schon hinüber in den grell erleuchteten Saal, in dem Merkel und die Parteichefs den Kandidaten für Bundespräsident Christian Wulff präsentieren. Papierschilder markieren jeden Platz auf dem Podium. "PV Gabriel" wie "Parteivorsitzender Gabriel" steht darauf. Direkt neben dem Sessel der Kanzlerin ist noch ein Platz, für den es kein Schildchen gab: Es ist der von Gauck.

Als Merkel gut eine Stunde zuvor ihre Entscheidung getroffen hatte, sagte sie, sie werde Gauck nun anrufen. Nur war sich Merkel nicht sicher, ob sie die richtige Nummer in ihrem Handy gespeichert hatte. Es gab wohl länger keinen Kontakt. "Ist das seine Nummer?", fragte sie Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Beide verglichen die Nummern, sie stimmten überein. Die Kanzlerin rief an, erreichte Gauck aber nicht, er saß noch im Flieger aus Wien. Also hinterließ Merkel eine Nachricht auf Gaucks Handy. Die Kanzlerin sprach dem Bundespräsidenten in spe auf die Mailbox. Ausgerechnet.