Demut zeigen - das war die einzige Chance des Bundespräsidenten, sagt Politologe Oberreuter

Hamburg. Knapp 11,5 Millionen Zuschauer sahen am Mittwochabend das Interview mit dem Staatsoberhaupt in ARD und ZDF. Gestern Abend wurden erste Umfragen bekannt, wie Christian Wulffs Auftritt bei den Bürgern angekommen ist: Laut "ARD-Deutschlandtrend extra" fanden 61 Prozent derjenigen, die den Auftritt gesehen hatten, Wulff habe dabei eher nicht überzeugt, 30 Prozent sahen ihn positiver. Allerdings äußerten zugleich auch 60 Prozent der Befragten die Ansicht, Wulff habe "jetzt eine zweite Chance verdient", 36 Prozent sahen dies anders.

56 Prozent sprachen sich in der ARD-Blitzumfrage dafür aus, dass Wulff im Amt bleiben sollte. Am Mittwoch, noch vor dem Interview, hatten dies nur 47 Prozent gesagt. Gestern sagten 41 Prozent der Befragten, Wulff solle zurücktreten. Tags zuvor hatten sich noch 50 Prozent dafür ausgesprochen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine ZDF-Blitzumfrage der Forschungsgruppe Wahlen. Demnach fordern 43 Prozent Wulffs Rücktritt - 50 Prozent waren dagegen. Seine Stellungnahmen werden laut ZDF jedoch nur von 25 Prozent der Befragten als überzeugend bewertet. 51 Prozent fanden sie nicht überzeugend.

Kritik an dem Fernsehauftritt kommt von dem Politologen Heinrich Oberreuter. "Sowohl der Auftritt des Bundespräsidenten als auch der beiden Journalisten war alles andere als souverän. Die Fragen waren selten präzise, gerade bei der Diskussion um den Hauskredit hätte kritischer nachgehakt werden müssen." Wulff sei nur eine mögliche Rolle geblieben: die des demütigen und menschelnden Präsidenten. "Er hat sich entschuldigt, Demut gezeigt, Fehler eingesehen. Ihm muss aber klar gewesen sein, dass er aus diesem Interview nicht als strahlender Sieger hervorgehen konnte. Es ging um Schadensbegrenzung", sagte Oberreuter dem Abendblatt. Die entscheidende Frage sei: "Inwieweit gibt man Wulff überhaupt noch eine Chance oder wartet doch nur auf seinen nächsten Patzer?"

Der Politologe rät Wulff jetzt, einen Monat lang das Amt ohne großes Aufsehen zu leiten - es gelte für ihn Ruhe reinzubringen. "Dann sollte er eine wirkungsvolle, beeindruckende und zukunftsweisende Berliner Rede halten, in der er eine Programmatik entwirft über das Zusammenleben in der modernen deutschen Gesellschaft."