SPD-Fraktionschef Steinmeier über Gauck, Merkel und Lafontaine. Für ihn ist die Wahl zum Bundespräsidenten noch nicht entschieden.

Berlin. Frank-Walter Steinmeier sieht Schwarz-Gelb am Abgrund. Einer Koalition mit der Linkspartei erteilt der Oppositionsführer und frühere Bundesaußenminister im Interview mit dem Abendblatt eine Absage.

Hamburger Abendblatt:

Herr Steinmeier, einen guten Oppositionsführer zeichnet aus, dass er politische Entwicklungen vorhersehen kann. Sind Sie bereit, mit uns ein wenig in die Zukunft zu schauen?

Frank-Walter Steinmeier:

Nur zu.

Wer wird nächster Bundespräsident?

Ich hoffe, der bessere der beiden Kandidaten. Die Mitglieder der Bundesversammlung sollten sich keine Vorgaben machen lassen. Bei der Wahl des Staatsoberhaupts kann es nicht um Partei- und Fraktionsdisziplin gehen. In dieser besonderen Situation, in der das Land nach Rücktritt des Bundespräsidenten und mitten in der Wirtschaftskrise ist, suchen die Menschen nach einer Persönlichkeit im höchsten Amte des Staates, die Glaubwürdigkeit hat und Orientierung geben kann. Für beides steht Joachim Gauck.

Die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung sprechen klar für Christian Wulff ...

Es ist etwas in Gang gekommen - mehr als ich selber zu hoffen gewagt habe. Wir erleben eine sich selbst tragende öffentliche Unterstützung für Joachim Gauck. Zehntausende sind es täglich im Internet. Die Menschen spüren, dass sein Leben für Freiheit und Demokratie ein Beispiel gibt für viele.

Gauck wäre für Sie ein unbequemer Präsident. Er ist in zentralen Fragen anderer Meinung als die Parteien, die ihn nominiert haben - etwa was den Umgang mit der Linkspartei angeht.

Da irren Sie. Ich kenne ihn sehr lange. Wir stimmen überein in unserer Entschiedenheit, für Demokratie und Freiheit einzutreten. Und wir sind beide der Überzeugung, dass Demokratie und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind, sondern von uns allen gelebt werden müssen.

Was sich in Nordrhein-Westfalen anbahnt, wird Gauck nicht gefallen ...

Ja, ich kann mir vorstellen, dass er sich über die Verweigerungshaltung von FDP und Union ärgert. Hannelore Kraft hat alles versucht, um eine Minderheitsregierung zu vermeiden ...

... die faktisch von der Linkspartei toleriert wird. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Wortbruch von Kraft und dem von Ypsilanti?

Sie glauben doch selbst nicht, was Sie da sagen. Der Unterschied zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen liegt auf der Hand. Frau Kraft hat nicht um eine Kooperation mit der Linkspartei nachgesucht. Sie hat vielmehr nach Sondierungsgesprächen aus Überzeugung eine Zusammenarbeit ausgeschlossen und sich um Koalitionsmöglichkeiten mit Union und FDP bemüht. Beide haben sich verweigert. Jetzt muss dieser Weg gegangen werden ...

... der die SPD von der Linkspartei abhängig macht.

Unsinn. Frau Kraft wirbt um die Unterstützung aller Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags.

Auf die Stimmen von CDU und FDP wird sie kaum bauen können.

Warten wir's doch ab. CDU und FDP sind in der Verantwortung, Nordrhein-Westfalen nicht regierungsunfähig zu machen.

Lafontaine hat den Rückzug angetreten. Können Sie sich vorstellen, dass die SPD nach der nächsten Bundestagswahl mit der Linkspartei koaliert?

Viele haben zu sehr auf Oskar Lafontaine geschaut. Sein Rückzug ist nicht unwichtig für die Linkspartei, aber er verändert sie nicht in ihrem Charakter. Die Wahl von Frau Lötzsch und Herrn Ernst spricht nicht dafür, dass die Partei mit ihrem Sozialpopulismus der letzten Jahre brechen will. Auch die Programmarbeit der Linkspartei kommt nicht vom Fleck. Die alten Dogmatiker scheinen das Heft immer noch fest in der Hand zu haben.

Wie muss sich die Linkspartei verändern, damit die SPD mit ihr im Bund regieren kann?

Wir haben gerade eine Wahl hinter uns. Die SPD stellt sich neu auf. Darauf richte ich meine ganze Kraft. Ich bin nicht der Oberpädagoge der Linkspartei. Nicht wir haben dafür zu sorgen, dass die Linkspartei regierungsfähig wird. Die Linkspartei im Bund selbst muss sich mit ihrer neuen Führung um einen Kurs bemühen, der sie regierungsfähig macht. Dass die Linkspartei diese Kraft hat, bezweifle ich.

Sie haben Neuwahlen gefordert. Wann wird es so weit sein?

Diese Regierung hat ihre Verantwortung vom ersten Tag an nicht angenommen. Es ist eine Koalitionsvereinbarung entstanden, die Passagen aus Parteiprogrammen zusammenfügt, aber keine Grundentscheidungen für eine Regierung enthält. Wir erleben einen Dauerstreit der Regierungsbeteiligten ...

... fast wie zu schlimmsten Zeiten von Rot-Grün.

Beschimpfungen wie Wildsau oder Gurkentruppe hat es bei uns nicht gegeben. Das wäre ja schon für eine Opposition schlechter Stil. Wir haben mit dem Sparpaket den siebten Neustart von Schwarz-Gelb erlebt. Jeder dieser Neustarts hat sich als Fehlstart erwiesen. Wenn die Menschen aus dem Sommerurlaub zurückkommen, wird dieses Land seit einem Jahr nicht regiert sein. Das ist dramatisch.

Unlängst hat in einer Fernsehsendung ein FDP-Politiker auf die Frage, wie viel Geld er darauf wetten würde, dass Schwarz-Gelb an Weihnachten noch regiert, geantwortet: 100 Euro. Wie viel würden Sie einsetzen?

Wahrscheinlich sind schon 100 Cent zu viel. (lacht) Dass in der FDP die Erneuerungsdiskussion ohne Westerwelle geführt wird, spricht Bände.

Wann nominiert die SPD ihren Kanzlerkandidaten? Oder wird es zur Abwechslung wieder eine Troika sein?

In Gelsenkirchen hat man über die Kremers-Zwillinge gesagt: Die zwei, dat is sich 'n Trio. (lacht)

Die berühmten Zwillinge von Schalke 04! Helmut Kremers ist Sigmar Gabriel und Erwin Kremers Frank-Walter Steinmeier?

Die Regierung wird versuchen, solange wie möglich vor sich hinzuwurschteln. Wir tun gut daran, uns darauf vorzubereiten, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Haben Sie keine Sorge: Wenn die Regierung zerbricht, wird die SPD nicht ohne einen Kanzlerkandidaten sein ...

... der Gabriel, Steinmeier oder Steinbrück heißt.

Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich hier im ersten Jahr der Wahlperiode eine Kandidatendebatte vom Zaun breche.

Andere halten das Rennen schon für gelaufen - zugunsten von Sigmar Gabriel.

Der Parteivorsitzende hat immer das Vorschlagsrecht.

Die Deutschen wünschen sich die Große Koalition zurück. Wäre die SPD zur Neuauflage bereit?

Wenn diese Regierung zerbricht, ist Merkel Geschichte. Dann kämen Neuwahlen. Sicher ist dabei nur: Schwarz-Gelb wird es nicht wieder.

Als was ginge Frau Merkel in die Geschichtsbücher ein?

Das sage ich Ihnen, wenn diese Regierung wirklich Geschichte ist.

Schwarz-Gelb hat die Mehrheit im Bundesrat verloren und will nun zentrale Vorhaben an der Länderkammer vorbeischleusen - etwa den Kern des Sparpakets ...

... das kann sie gar nicht. Alle steuerrechtlich relevanten Fragen brauchen die Zustimmung der Länder. Das Sparpaket muss in großen Teilen durch den Bundesrat. Das gilt auch für die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken.

Und wenn sich die Regierung nicht daran hält, zieht die SPD vor das Verfassungsgericht?

Die Länder werden bei Verletzung ihrer Zustimmungsrechte den Rechtsweg beschreiten. Das gilt für die Laufzeitverlängerung wie für das Sparpaket.

Wie muss Schwarz-Gelb das Sparpaket verändern, damit die SPD zustimmen kann?

Konsolidierung ist notwendig. Das sieht auch die SPD. Aber es kann doch nicht sein, dass die Koalition erst mal Steuergeschenke an ihre Klientel, an Hotelbesitzer und Unternehmer verteilt und dann sagt: Das Geld, das wir da verschenkt haben, müssen jetzt Arbeitssuchende und Familien wieder aufbringen. Da machen wir nicht mit. Zuallererst müssen also diese unsinnigen Steuergeschenke zurückgenommen werden. Das macht in der Summe ein Viertel, oder wenn wir neuerdings von geringerem Einsparungsbedarf ausgehen müssen, sogar ein Drittel des Sparpakets aus.

Zustimmung also ausgeschlossen?

Das ganze Paket ist von vornherein falsch aufgestellt. Und dass es jeder sozialen Balance Hohn spricht, sagen ja inzwischen nicht nur Sozialdemokraten. Wer den staatlichen Zuschuss für Langzeitarbeitslose streicht und sich zugleich jedem Gedanken über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes verweigert, der kann nicht ernsthaft erwarten, dass er dafür die Zustimmung von Sozialdemokraten bekommt.