Teile der Union rebellieren gegen das Sparpaket des Kabinetts. Ex-Bischöfin Käßmann ruft zum Widerstand auf

Berlin. Noch ist das größte Sparpaket in Deutschlands Geschichte nicht Gesetz, sondern kaum mehr als ein Projekt. Sollten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Guido Westerwelle (FDP) geglaubt haben, dass die Liste der Grausamkeiten, auf die sie sich in ihrer siebzehnstündigen Klausursitzung verständigt haben, eins zu eins Bundestag und Bundesrat passiert, dann könnten sie ihre Rechung ohne die eigenen Leute gemacht haben.

Die Abgeordneten der Unionsfraktion wollen die beispiellose 80 Milliarden-Streichliste im nun beginnenden Haushaltsverfahren jedenfalls erneut auf den Prüfstand stellen. Der parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier (CDU) sagte zwar, es gehe nicht darum, das Paket zu zerpflücken. Doch könne man darüber reden, die geplante Streichung des Zuschusses zur Rentenversicherung von Arbeitslosen wieder rückgängig zu machen. Vorausgesetzt, es werde ein Weg gefunden, an anderer Stelle im Etat 1,8 Milliarden Euro einzusparen. Altmaier wollte auch nicht ausschließen, dass am Ende doch noch Korrekturen an den verminderten Mehrwertsteuersätzen oder ein höherer Spitzensteuersatz in das Gesetzgebungsverfahren Eingang finden. Westerwelle hatte das während der Verhandlungen noch verhindert. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) forderte, die "soziale Schieflage" des Sparpakets auszugleichen. "Ich glaube, dass wir auch über den Spitzensteuersatz noch einmal reden müssen", sagte er im Saarländischen Rundfunk.

Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer konterte gestern in Berlin, dass er das Paket sehr wohl als sozial gerecht begreife. Der Bundeshaushalt lasse es kaum zu, in anderen Etats als dem des Arbeitsministeriums zu sparen. Die Streichungen seien maßvoll und vertretbar. Da war er sich ausnahmsweise mit FDP-Generalsekretär Christian Lindner einig, der erklärte: "Die soziale Balance stimmt." Schließlich sei das Niveau der sozialen Sicherung in Deutschland auch nach Verabschiedung des Pakets besser als zu Zeiten von Rot-Grün. Eine ähnliche Verteidigungslinie machte auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) selbst auf. Auf ihren Haushalt falle die Hälfte aller Bundesausgaben, sagte sie im Deutschlandradio: "Wenn wir dann nur ein Drittel der Sparmaßnahmen beitragen müssen, reicht das schon, dass hier auf die soziale Balance geachtet worden ist." Bei den Sozialdemokraten sieht man das anders. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil sagte dem Abendblatt: "Zuerst wurde Frau von der Leyen in der Präsidentschaftsfrage düpiert, dann wird ihr Haushalt rasiert." Leyen habe "offenbar nicht mehr die Autorität zu verhindern, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik zum Steinbruch für die verfehlte Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung wird". Heils Prognose: "Frau von der Leyen wird es nicht gelingen, diesen massiven Sozialabbau wegzulächeln." Befeuert wurde die Debatte auch von den Gewerkschaften. "Der gesellschaftliche Kampf hat seit gestern begonnen", sagte DGB-Chef Michael Sommer dem RBB. Die riesigen Sparsummen gingen zulasten der kleinen Leute. Auch die IG Metall kritisierte: "Die Armen zahlen die Zeche, die Reichen bleiben ungeschoren."

Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, forderte kirchlichen Widerstand gegen die geplante Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger: "Als ich von der Streichung erfahren habe, habe ich mich gefragt, ob Hartz-IV-Empfänger weniger Würde als andere Menschen haben", sagte die ehemalige Landesbischöfin im Martin-Luther-Forum in Gladbeck. Die Kirche dürfe politisch sein und müsse nun ihr Wächteramt wahrnehmen. Zeit dafür wäre genug: Das Paket muss jetzt den mühsamen Weg durch die parlamentarische Ebene antreten und bis November vom Bundestag und teilweise auch vom Bundesrat verabschiedet werden - obwohl bislang noch unklar ist, was am Ende in der Länderkammer zustimmungspflichtig ist und was nicht.