Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, schreibt im Abendblatt über die neue Nuklearstrategie von US-Präsident Barack Obama.

Hamburg. Die Zeichen stehen auf Abrüstung. Vor knapp einer Woche stellte US-Präsident Barack Obama die neue Nuklearstrategie vor. Sie markiert einen Wendepunkt in der US-amerikanischen Sicherheitspolitik. Die USA verzichten demnach auf den Einsatz von Atomwaffen gegen Staaten, die selbst keine Atomwaffen besitzen und sich an den Atomwaffensperrvertrag halten - selbst im Falle eines Angriffs mit biologischen oder chemischen Waffen.

Am vergangenen Donnerstag unterzeichneten die USA und Russland das START-Nachfolgeabkommen. Der erste Rüstungsbegrenzungsvertrag seit Jahrzehnten.

Diese Woche lädt Präsident Obama die Welt zum internationalen Gipfel zur Atomsicherheit nach Washington. Barack Obama scheint Ernst zu machen mit seiner Vision einer sicheren, atomwaffenfreien Welt. Plötzlich sind alle für nukleare Abrüstung. Alle? Außenminister Westerwelle nennt die Nuklearstrategie einen "Meilenstein für die weltweiten Abrüstungsbemühungen". Natürlich reist auch die Bundeskanzlerin zum internationalen Atomgipfel. Schöne Bilder, warme Worte garantiert. Der rhetorische Nebel soll vergessen machen, dass Schwarz-Gelb öffentlich Wasser predigt, aber in Wahrheit Wein trinkt. Inzwischen ist Deutschland drittgrößter Waffenexporteur. Bei den konventionellen Waffen rüsten wir nicht ab, sondern weltweit auf.

Und bei den Atomwaffen? Der neue START-Vertrag kann nur ein Anfang sein. Sowohl für strategische als auch für taktische Atomwaffen müssen dringend weitere Reduzierungsvereinbarungen folgen. Nur, jeden Tag steigen in Deutschland Bundeswehrpiloten in ihre Kampfbomber und üben den Abwurf taktischer Atomwaffen. Über die sogenannte "nukleare Teilhabe" ist Deutschland de facto eine Atommacht. Einst wollte die FDP dies beenden. Die taktischen Atomwaffen sollten aus Deutschland verschwinden. Seit Westerwelle regiert, hat er dies vergessen.

Noch wichtiger für die nukleare Abrüstung aber ist es, die Ausbreitung der zivilen Nutzung der Atomenergie einzudämmen. Das Beispiel Iran zeigt uns, dass die Verbreitung von Spaltmaterial und von Technologien zur Anreicherung und Wiederaufarbeitung der Schlüssel beim Griff zu Atomwaffen ist. Deshalb muss das Risiko der doppelten Verwendung von zivil und militärisch nutzbaren Gütern reduziert werden. Sich national und weltweit für den Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomenergie starkzumachen und erneuerbare Energien zu fördern ist das Gebot der Stunde.

Was machen Merkel und Westerwelle? Sie exportieren wieder Atomtechnologie und subventionieren dies auch noch aus Steuergeldern. Brasilien ist hier nur der Anfang.

In Deutschland fällt Schwarz-Gelb nichts Besseres ein, als die AKW-Laufzeiten erst mal auf 60 Jahre zu verlängern. Sie möchte so den Atommüll verdoppeln. Das ist jenes Material, nach dem Terroristen weltweit lechzen.

Zu Recht sehen die USA die größte Bedrohung des 21. Jahrhunderts darin, dass Atomwaffen oder nukleares Material in die falschen Hände gelangen könnten. Nicht mehr andere Staaten wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges, sondern der nukleare Terrorismus ist die größte Gefahr für den Frieden. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass die USA die Vorreiterrolle übernehmen und die internationale Staatengemeinschaft an einen Tisch bringen, um nukleare Sicherheit ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen.

Wer es mit dem Stopp der Verbreitung von Atomwaffen und Spaltmaterial ernst meint, darf nicht immer mehr Atommüll produzieren und dabei nicht mal über ein Endlager verfügen. Und er darf nicht wie Merkel und Westerwelle dazu übergehen, Atomtechnologie weltweit zu exportieren. Das schafft viele Irans.

Wer Atomwaffen abrüsten will, darf von der Atomenergie nicht schweigen.

Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen.