Frank-Jürgen Weise: Mit dem Ruf nach mehr Gerechtigkeit dürfen nicht neue Ungerechtigkeiten geschaffen werden.

Nürnberg. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, hat vor einem kompletten Umbau der Hartz-Reformen gewarnt. Der Kern der Neuerungen auf dem Arbeitsmarkt sei richtig gewesen, sagte Weise dem „Spiegel“ in einem am Sonntag veröffentlichten Interview. „Die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt wäre ernsthaft gefährdet, wenn wir die Reformen der vergangenen Jahre zurückdrehen würden.“ Das System müsse allerdings weiterentwickelt werden.

Skeptisch beurteilte der BA-Chef Forderungen, das sogenannte Schonvermögen auszuweiten, das Langzeitarbeitslose nicht mit dem Arbeitslosengeld II verrechnen müssen. Die Grundsicherung sei eine staatliche Fürsorgeleistung, die auch von Geringverdienern mit Steuern finanziert werde. „Es wäre deshalb ein Fehler, das Schonvermögen unbegrenzt auszudehnen“, sagte Weise. Eine Friseurin dürfe nicht den wohlhabenden Eigentümer mehrerer Immobilien mitfinanzieren. „Wir müssen aufpassen, dass wir mit dem Ruf nach mehr Gerechtigkeit nicht neue Ungerechtigkeiten schaffen.“

Weise warnte, derzeit drohe ein Überbietungswettbewerb bei den Arbeitsmarktreformen. Die Fixierung der Beschäftigungspolitik auf dieses Gebiet sei ein Fehler. „Besser wäre es, die Bildungspolitik zu verbessern, und die Wirtschaftspolitik würde die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit hierzulande wieder mehr Jobs geschaffen werden“, sagte der Behördenchef.

Zuvor hatte der hessische Ministerpräsident Rolland Koch eine strenge Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger gefordert. „Wir müssen jedem Hartz-IV- Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertige Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung“, sagte Roland Koch (CDU) der Zeitschrift Wirtschaftswoche (Montag). Koch sprach sich zugleich für höhere Hinzuverdienst-Grenzen aus, um den Anreiz zur Annahme von Arbeit zu verstärken.

Für seinen Vorstoß erntete der CDU-Vize scharfe Kritik aus dem Linken- und Gewerkschaftslager. Da es in Deutschland notfalls auch ein Leben lang Leistungen gebe, müssten Instrumente eingesetzt werden, „damit niemand das Leben von Hartz IV als angenehme Variante ansieht“, sagte Koch. Es könne kein funktionierendes Arbeitslosenhilfe-System geben, das nicht auch ein Element von Abschreckung enthalte. „Sonst ist das für die regulär Erwerbstätigen, die ihr verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen vergleichen, unerträglich.“ Letztlich müsse „am Ende der Hartz-IV-Reparaturen“ die Beschäftigung der Betroffenen höher sein und die Belastung der Staatskasse sinken. „Das wird auch in der CDU keine leichte Diskussion“, meinte Koch.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst, forderte Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel auf, Koch in die Schranken zu weisen. „Was Koch da absondert, ist mittelalterlich. Wer in die Arbeitslosenabsicherung ein Abschreckungselement einbauen will, riskiert mit voller Absicht, dass Menschen auf der Strecke bleiben.“ Ernst fügte hinzu: „Wenn es nach so einer Entgleisung keinen Aufschrei in der Union gibt, dann zeugt das von Charakterlosigkeit.“ Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, kommentierte die Forderung so: „Herr Koch sollte lieber den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen, die Arbeitsplätze vernichten und immer weniger Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben.“

Die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft warnte derweil davor, bei einer Veränderung von Hartz IV auch die Vorteile zunichte zu machen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sei richtig gewesen, weil sie den Betroffenen Hilfe „aus einer Hand“ gebracht habe, sagte Kraft der Deutschen Presse-Agentur dpa in Düsseldorf. Dieser Fortschritt dürfe bei der anstehenden Überarbeitung der Arbeitsmarktreformen nicht preisgegeben werden. Die von der Bundesregierung angestrebte Umstrukturierung der Jobcenter berge eine solche Gefahr.

Dass es Korrekturen an der unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder verabschiedeten Gesetzgebung geben müsse, sei unzweifelhaft, räumte die stellvertretende Parteivorsitzende Kraft ein. Sie will sich im Bund unter anderem dafür einsetzen, mit öffentlichen Hilfen einen sozialen Arbeitsmarkt für Menschen zu schaffen, die – zum Beispiel wegen einer Krankheit oder Behinderung - auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht vermittelbar wären. Der ausufernde Niedriglohnsektor müsse eingedämmt werden. Korrektur- Bedarf gebe es außerdem bei den Hilfen für Kinder.

Nach dem Willen von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sollten Langzeitarbeitslose künftig ihr gesamtes zur Altersversorgung angespartes Vermögen behalten dürfen. Dies solle ohne jede Eigentumsüberprüfung geschehen, sagte sie der „Berliner Zeitung“ (Samstag). Die heutige Anrechnung des Vermögens zur Altersversorgung werde von den Betroffenen, die oft Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätten, als die eigentliche Zumutung empfunden. Nahles kritisierte den Vorschlag der schwarz- gelben Koalition, die Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger zu vergrößern. Dies sei nichts anderes als ein verkappter Kombilohn, der die Arbeitslosigkeit verfestige.