Die Kernfragen sind bisher unbeantwortet. Union will ein “robustes Mandat“. Die Opposition lehnt härteres Eingreifen kategorisch ab.

Berlin. Die Bundespressekonferenz geriet zum juristischen Seminar. Ulrich Wilhelm, Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), und Steffen Moritz, in gleicher Funktion für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) tätig, versuchten die rechtlichen Grundlagen des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan zu erläutern. Dabei ging es um das Völkerrecht, die Resolution 1833 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, das darauf fußende Mandat des Bundestags und um die sogenannten "Rules of Engagement", die von Nation zu Nation variierenden Einsatzregeln für die Soldaten. Und es ging um die seit Tagen diskutierte Frage, ob der deutsche Oberst Georg Klein einen Luftangriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklastzüge befehlen durfte.

Die Lastwagen sind dabei nicht das Problem. Bei dem Bombardement am 4. September wurden aber auch bis zu 142 Menschen verletzt oder kamen ums Leben. Unter den Toten befanden sich 60 bis 80 aufständische Kämpfer und 30 bis 40 Zivilisten. Die entscheidende Frage also lautet: Darf ein Bundeswehroffizier die Tötung von feindlichen Kämpfern befehlen?

Die Details sind kompliziert, aber vereinfachend lässt sich sagen: In all diesen juristischen Regelwerken lassen sich Normen finden, auf die sich Oberst Klein berufen kann. Mit dem Wortlaut dieser Normen allein ist es aber nicht getan. Denn wie bei der Anwendung staatlicher Gewalt im Inland zum Beispiel durch die Polizei muss auch bei der Anwendung militärischer Gewalt im Auslandseinsatz der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Dieses Prinzip ist ein Kernelement eines jeden Rechtsstaats und besagt, dass stets geprüft werden muss: Verfolgt die Handlung einen legitimen Zweck und ist sie geeignet, erforderlich und angemessen, um diesen Zweck zu erreichen?

Oberst Klein wollte den Stützpunkt in Kundus und seine Soldaten vor aufständischen Kämpfern schützen, und er wollte nach allen vorliegenden Erkenntnissen gezielt aufständische Kämpfer ausschalten. Ob dieses Ziel verhältnismäßig war, misst sich entscheidend an der Bewertung der Frage, ob der Offizier bei seinem Befehl mit zivilen Opfern rechnen musste. Und wenn ja, mit wie vielen zivilen Opfern musste er rechnen? Diese Frage aber mochte die Bundesregierung auch gestern nicht beantworten. Ihr Sprecher Ulrich Wilhelm verwies auf den Untersuchungsausschuss des Bundestages, der am Mittwoch seine Arbeit aufnehmen soll. Erst dort könnten die als geheim eingestuften Ermittlungsdokumente ausgewertet werden.

Stattdessen fanden die Versuche der politischen Akteure weitere Fortsetzung, aus dem Fall Kundus politisches Kapital zu schlagen. Während der CSU-Sicherheitsexperte Hans-Peter Uhl ein "deutlich robusteres Afghanistan-Mandat" forderte, um der Bundeswehr mehr Klarheit zu verschaffen, "dass sie Aufständische mit allen Mitteln bekämpfen und auch töten darf", lehnt die SPD das ab. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel nannte diese Forderung "ungeheuerlich.

Die Probleme der Deutschen in Afghanistan dürften in Zukunft aber kaum geringer werden. Die Bundeswehr muss nach Ansicht des Stabschefs im militärischen Hauptquartier der Nato, des deutschen Generals Karl-Heinz Lather, im kommenden Jahr mindestens 500 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schicken. Möglicherweise seien auch deutlich mehr Truppen im Norden Afghanistans nötig, wo die meisten der bisher 4500 Bundeswehrsoldaten stationiert sind, sagte Lather in Mons. Insgesamt fordert die Nato bis zu 3000 zusätzliche Soldaten für den Norden Afghanistans, für den Deutschland das Regionalkommando hat.