Leipzig/Berlin. Mit sehr deutlichen Worten hat sich Bundespräsident Horst Köhler gestern in die Bildungsdebatte eingemischt und Verständnis für die seit Wochen protestierenden Studenten gezeigt. "Deutschlands Aufwendungen für den Hochschulbereich sind seit Jahren unterdurchschnittlich, die chronische Unterfinanzierung wird in schlechten Betreuungsquoten, maroden Gebäuden und mangelnder Infrastruktur für Forschung und Lehre sichtbar", sagte Köhler gestern zum 600. Geburtstag der Universität Leipzig. "Das ist eine Botschaft auch an die Studierenden - und es ist die falsche Botschaft."

Deutschlandweit protestieren Studenten seit Wochen unter anderem gegen die Bologna-Reform, Studiengebühren und Leistungsdruck. Bei einem bundesweiten Aktionstag zum Bildungsstreik war es bereits Mitte November in zahlreichen Städten zu Demonstrationen gekommen.

Die Umsetzung der Hochschulreformen kritisierte Köhler scharf. Nach zehn Jahren "Bologna"-Prozess, mit dem die Umstellung auf die Bachelor- und Masterabschlüsse auf den Weg gebracht wurde, "sind wir wohl nicht dort, wo wir sein wollten", sagte Köhler. "Für die Bologna-Reform wie für das Megathema Bildung insgesamt gilt: Wir brauchen an vielen Stellen mehr Ehrgeiz und mehr Mitmacher."

Köhler kritisierte diejenigen im Bund und "vor allem" in den Ländern, die geglaubt hätten, man könnte das Hochschulwesen kostenneutral umbauen, vielleicht sogar durch die Einführung der Bachelor-Studiengänge Geld sparen. Die Zahl der Professoren sei in den vergangenen Jahren nicht in dem Verhältnis der Studierenden gestiegen. Das müsse doch zu denken geben. Manche Hochschulen hätten den Reformauftrag nur nach der Devise umgesetzt: "Alter Wein in übervollen neuen Schläuchen."

Es sei gut, dass Bund und Länder sich darauf verständigt hätten, zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung zu investieren. "Wenn nun aber so lange gerechnet wird, bis das Ziel nominal erreicht scheint, ohne wirklich mehr Geld in die Hand zu nehmen, dann lässt das daran zweifeln, ob den Worten wirklich Taten folgen", kritisierte der Bundespräsident.

Köhler nannte die Umsetzung der Hochschulreform den "Lackmus-Test", ob Deutschland es ernst meint mit der Zukunftsfähigkeit des Landes. Er zeigte Verständnis für die Studentenproteste. Die Klage der Studierenden müsse nicht wundern, da das enge Korsett mancher Studien- und Prüfungsordnungen ihnen zu wenig Freiraum gebe und da Leistungen, die sie anderenorts erbracht hätten, nicht oder nur mühevoll anerkannt würden.

Zu einer fundierten Bildung gehöre auch die Freiheit und Zeit, im Studium nicht nur Fakten und Methoden der Wissenschaft zu erlernen, sondern auch über das "wozu" nachzudenken.

Köhler forderte aber nicht nur von Politikern und Professoren mehr Einsatz für die Reform, sondern auch von der Wirtschaft mehr Anerkennung. "Ich rufe Ihnen zu: Machen Sie die Arme auf für die Absolventen, aber greifen Sie den jungen Leuten auch unter die Arme: im Studium mit Stipendien und mit fairen Praktika, mit besserem Training on the job und passgenauen Weiterbildungsangeboten", sagte Köhler. "Auch sie tragen Verantwortung für die Bundesrepublik!"

Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, dankte Köhler für seine klaren Worte. "Es muss aufhören, dass die Bildungsinvestitionen schöngerechnet werden und dass die alleinige Verantwortung für die Qualität für Bildung und Forschung mit dem Hinweis auf deren gewachsene Autonomie den Hochschulen zugewiesen wird", erklärte sie und forderte die Einberufung eines Bologna-Gipfels.