Das Bundesverfassungsgericht entscheidet am 1. Dezember, ob die großzügigen Berliner Sonntagsöffnungszeiten Bestand haben werden.

Karlsruhe. Keine Frage, die Argumente waren gut, mit denen die beiden großen Kirchen bei der Anhörung im Juni die Karlsruher Richter zur Rettung des Sonntags vor den Anfechtungen des Konsums motivieren wollten. Wann, wenn nicht sonntags, können Familien noch gemeinsame Aktivitäten planen, wann soll der dauergestresste Arbeitnehmer sonst noch zur Ruhe kommen können, und überhaupt: Was bringt die zusätzliche Ladenöffnung überhaupt – ist sie nicht ohnehin ein ökonomisches Nullsummenspiel?

Das ließ sich also wirklich hören, was Repräsentanten von Katholiken und Protestanten den Richtern ans Herz legten, nur: Ob das Bundesverfassungsgericht am kommenden Dienstag (1. Dezember) die großzügigen Berliner Sonntagsöffnungszeiten kippen wird, ist trotzdem zweifelhaft.

Denn damit aus einem guten Argument ein Grundrecht wird, noch dazu eines, das die Kirchen vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen können, braucht es mehr: Die Kirchen müssten durch die bis zu zehn Sonntage, an denen in Berlin die Läden öffnen dürfen, in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Position erschüttert sein. Als Religionsgemeinschaft wohlgemerkt – nicht als Hüter von Gesellschaft und Kultur.

In diesem Punkt war die Kritik der Kirchen zwar scharf formuliert: „Die Bestimmungen höhlen den verfassungsrechtlichen Schutz des Sonntags in unerträglicher Weise aus,“ schimpfte Kardinal Georg Sterzinsky in der Anhörung. Und Wolfgang Huber, seinerzeit noch Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, warf dem Land Berlin einen „beunruhigenden Mangel an religiöser wie kultureller Achtung“ vor.

Doch je mehr es in die Details ging, desto unklarer wurde, was genau den Kirchen durch das sonntägliche Shoppen eigentlich weggenommen wird. Namentlich an den vier verkaufsoffenen Adventssonntagen in der Hauptstadt – laut Huber ein eklatanter Eingriff in den „kirchlich geprägten Jahreslauf“ – öffnen die Läden ohnehin erst um 13 Uhr. Zeit genug, morgens zum Gottesdienst zu gehen, merkte der deutlich säkular gestimmte Richter Brun-Otto Bryde an.

Zwar sitzen im Ersten Senat auch kirchennähere Richter als Bryde, etwa Wilhelm Schluckebier, dem als „Berichterstatter“ eine Schlüsselrolle im Verfahren zukommt. Auch Gerichtspräsident Hans- Jürgen Papier gehört zum eher konservativen Flügel – wenngleich dem Staatsrechtslehrer nur eines wirklich heilig ist, die saubere Grundrechtsdogmatik. Es gehöre zu den zentralen Fragen des Verfahrens, inwieweit die Kirchen den Sonntagsschutz überhaupt gerichtlich einklagen könnten, dämpfte er die Hoffnung der Kirchen.

Einer völligen Aufgabe des freien Sonntags dürfte allerdings folgender Satz im Grundgesetz im Wege stehen: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Allerdings ist die Vorschrift bereits 90 Jahre alt, sie stammt aus Artikel 139 der Weimarer Verfassung, der ins Grundgesetz übernommen wurde. Außerdem: Was bedeutet „seelische Erhebung“ eigentlich in der Konsumgesellschaft des Jahres 2009? Endlich mal in Ruhe einkaufen?

Jedenfalls ist der Trend zum Sonntagsverkauf ungebrochen. Zwar geben andere Bundesländer oft nur vier Sonn- oder Feiertage frei, allerdings existieren zahlreiche Ausnahmeregelungen – beispielsweise in Niedersachsen für Waren des „täglichen Kleinbedarfs“, für Kurorte im Schwarzwald, für Bahnhöfe und Flughäfen ohnehin.

Selbst wenn die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sowie das Erzbistum Berlin, die das Grundsatzverfahren nach Karlsruhe getragen haben, am Ende verlieren sollten, wird entscheidend sein, wie sehr das Gericht bei der Auslegung jenes Artikels 139 in die Tiefe geht. Markiert er am Ende doch eine - wenigstens halbwegs wirksame – Grenze für Konsum und Kommerz? Für die Kirchen wäre das wohl ein halber Sieg.