Verbrecher nutzen neueste Technologien, die Polizei hinkt hinterher. BKA-Chef Ziercke will höchstrichterliche Entscheidung abwarten.

Wiesbaden. Der internationale Terrorismus ist der Bruder der organisierten Kriminalität (OK). Ohne diese hätten die Terroristen kein Geld, keine Waffen, keine Schmuggelrouten. Der Nährboden für beide sind zerfallene Staaten ohne Strukturen. Ein Beispiel dafür geben die Taliban und die Terrororganisation al-Qaida, die ihr Vermögen mit dem weltweit beherrschenden Opium-Handel aus Afghanistan machen. Nachdem jahrelang die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, nutzte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, die Herbsttagung seiner Behörde in Wiesbaden, um vor einem Scheitern im Kampf gegen die organisierte Kriminalität zu warnen.

"Den Sicherheitsbehörden gelingt es nur bedingt, bestimmten weltweiten Kriminalitätsphänomenen nachhaltig entgegenzutreten", sagte Ziercke und beklagte die immer größere Schere zwischen den technischen Vernetzungsmöglichkeiten der Kriminellen über das Internet und den Konzepten, die die Polizei dagegensetzen kann. Sie könne den schnellen Kommunikationsflüssen kaum noch folgen. "Das Internet spielt eine überragende Rolle", sagte Ziercke. Nicht nur für die Kommunikation der Kriminellen, sondern auch für ihre finanziellen Abwicklungen und Betrug mit gestohlenen Identitäten der Nutzer.

Bisher nutzen die Fahnder die umstrittene Vorratsdatenspeicherung, die die Internet-Anbieter zur Speicherung aller Kommunikationsdaten für sechs Monate verpflichtet. Über die IP-Adressen lässt sich dann ermitteln, wer genau welche kriminellen Geschäfte per Internet abwickelt. Jeder Computer, dessen Benutzer ins Internet geht, erhält automatisch eine sogenannte IP-Adresse. Damit wird der Computer im Internet identifiziert. "Auch die Überwachung der zunehmenden Internet-Telefonie muss zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität zur Strafverfolgung möglich sein", sagte Ziercke.

Mit Blick auf die bevorstehende Verhandlung zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht warnte Ziercke vor einer Aufweichung: "Ohne den Rückgriff auf IP-Adressen ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die Abwehr des Terrorismus nicht möglich." Darüber gebe es eine weltweite Übereinstimmung unter den Sicherheitsexperten. Vor drei Jahren schon habe das BKA nachweisen können, dass ohne den Zugriff auf die Verbindungsdaten 350 Verbrechen nicht hätten aufgeklärt werden können. Diese Zahlen werde er dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

Organisierte Kriminalität (OK) hat viele Gesichter. Wer wissen will, was sie bewirkt, muss nur auf die stinkenden Müllberge Süditaliens blicken. Die sogenannte Öko-Mafia hat dort nach Zierckes Angaben allein im Jahr 2007 mit illegalen Geschäften in der Müll- und Bauwirtschaft einen Umsatz von 17 Milliarden Euro gemacht. "In Italien hat die Mafia Funktionen des Staates übernommen", sagte Ziercke. Die italienischen Mafia-Clans seien ein "gravierendes Problem". Wenn die Mafia in große Teile eines Staates eindringt, dann zahlen die Bürger das unter anderem mit einem Aufweichen ihrer Rechte, überhöhten Steuern und Gebühren. Der in Deutschland ermittelte Schaden durch OK-Kriminalität lag im vergangenen Jahr bei 691 Millionen Euro. Auch wenn in Deutschland die Zahl der Verfahren wegen organisierter Kriminalität zurückgehe (2008 wurden 575 Verfahren bearbeitet), sei das kein Grund zum Aufatmen, so Ziercke. Die Delikte seien so "verfeinert" und hochkonspirativ angelegt, dass kaum zu erkennen sei, was legal oder illegal ist. "Transnationale Kriminalität ist ein globaler Wirtschaftsfaktor ersten Ranges", warnte Ziercke.