Hamburg/Berlin/Washington. Kaum hat der neue Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auf dem heißen Stuhl seines Amtes Platz genommen, da geht er die Probleme frontal an wie der gelernte Gebirgsjäger, der er ja auch ist.

Hatte er kürzlich mit der verbalen Tradition seines Vorgängers Franz Josef Jung (CDU) gebrochen und im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr das Wort "kriegsähnlich" verwendet, so räumte er jetzt mit zwei weiteren Tabus auf. Guttenberg will ganz offen über einen möglichen Abzug der Bundeswehr vom Hindukusch diskutieren. Derartige Überlegungen waren vorher unter Rücksichtnahme auf die amerikanischen Alliierten zumindest nicht offizieller Bestandteil der Berliner Regierungspolitik gewesen. "Die Sankt-Nimmerleins-Haltung ist politisch nicht mehr tragbar", sagte Guttenberg dem "Stern". Die Frage eines Abzugs werde immer bedeutender, sollten sich die Verhältnisse in Afghanistan nicht verbessern, fügte der ehemalige Unteroffizier des Gebirgsjägerbataillons 233 in Mittenwald hinzu. Er habe nicht vor, "das Thema Afghanistan gegenüber der Bevölkerung und den deutschen Soldaten verdruckst und verschwurbelt darzustellen. Das Wort 'Exit-Strategie' nehmen wir nicht mehr nur verschüchtert in den Mund - wie noch vor ein, zwei Jahren."

Allerdings lehnte es der Freiherr ab, ein konkretes Datum für einen möglichen Abzug zu nennen. Mehr noch: Guttenberg schloss sogar eine vorübergehende Aufstockung der deutschen Afghanistan-Truppe über die derzeitige Grenze von 4500 Soldaten hinaus nicht aus - auch dies war bislang angesichts der überwiegend ablehnenden Haltung der Bundesbürger zum Krieg am Hindukusch vermieden worden. "Wenn wir die Zielsetzungen neu justieren müssen nach der Afghanistan-Konferenz, dann werden wir über eigene Ausstattung, über eigene Möglichkeiten neu nachdenken müssen", sagte der Verteidigungsminister. Die Konferenz ist für das Frühjahr vorgesehen.

Guttenbergs Äußerungen passen zu Berichten amerikanischer und britischer Medien, nach denen US-Präsident Barack Obama die Alliierten um die Entsendung von rund 4000 zusätzlichen Soldaten nach Afghanistan bitten wird. Weiter hieß es, Obama überdenke derzeit vier ihm vorliegende Optionen. Eine davon sickerte bereits durch. Wie der Sender CNN berichtete, will Obama mehr als 34 000 weitere US-Soldaten an den Hindukusch entsenden - drei verstärkte Heeresbrigaden mit zusammen 15 000 Mann, eine Marines-Brigade mit 8000 Mann, rund 7000 Mann Stabstruppen und mindestens 4000 Soldaten Unterstützungstruppen. Zusammen mit den 4000 Mann der Verbündeten wären dann jene 40 000 Soldaten erreicht, die Afghanistan-Kommandeur Stanley McChrystal angefordert hatte. Die anderen drei Optionen sollen nur Variationen der ersten Option sein.