Meine ersten Assoziationen, als ich am Fernsehbildschirm mit den Tausenden von Menschen mitfieberte, die mit überschäumender, rückhaltloser Freude die Mauer eingerissen haben, waren die Bilder des 25. April 1974. Es war das Gefühl des Strebens nach Freiheit, die Idee einer friedlichen Revolution, dieses so schwer zu beschreibende, doch von so vielen aus meiner Generation mit Glück erlebte Gefühl, einem historischen Tag beizuwohnen; es war einer dieser Augenblicke, in denen alles möglich erscheint. Doch es lassen sich noch mehr Parallelen zwischen diesen beiden Ereignissen, der portugiesischen Nelkenrevolution vom Frühjahr 1974 und dem Herbst 1989 in Berlin, herstellen. Auf der einen Seite der plötzliche und im Grunde unerwartete Charakter des Abgangs zweier Regime, die beide über 40 Jahre dauerten und vielen als eine unverrückbare Gegebenheit erschienen. Auf der anderen Seite die fast wundersame, scheinbare Leichtigkeit, mit der alles vonstatten ging, praktisch ohne jede Gewaltanwendung.

Meine persönliche Wahrnehmung dieser beiden Ereignisse war indessen ganz unterschiedlich. Im Jahr 1974 war ich gerade 18 Jahre alt geworden und studierte im ersten Semester an der Universität. Im Jahr 1989 bekleidete ich dagegen Regierungsämter, hatte die Funktion des Staatssekretärs für auswärtige Angelegenheiten inne und damit die Gelegenheit, die zu jener Zeit entstehenden Umwälzungsbewegungen in Mittel- und Osteuropa zu verfolgen.

Verständlicherweise erfüllte mich daher ein Gefühl tiefer Demut, als ich am vergangenen 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, in Berlin vom polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk den Quadriga-Preis entgegennahm; eine Auszeichnung, die gleichzeitig auch an Michail Gorbatschow und Vaclav Havel verliehen wurde. Bei diesen beiden Politikern handelt es sich zweifellos um historische Persönlichkeiten, die einen wesentlichen Beitrag zur geopolitischen Veränderung unseres Kontinents, ja der gesamten Welt geleistet haben. Doch mit dem Willen, den Präsidenten der Europäischen Kommission auszuzeichnen, wollten die Organisatoren dieser Preisverleihung die Aufmerksamkeit auf die Verbindung lenken, die zwischen den Umwälzungen des Jahres 1989 und der Tatsache besteht, dass die amtierende Europäische Kommission die erste Kommission der europäischen Versöhnung und die erste Kommission einer EU mit einer kontinentalen Dimension ist. Es war in der Tat genau diese Revolution von 1989, durch die das wiedervereinigte Europa vom Anfang dieses Jahrhunderts ermöglicht wurde.

Ein Aspekt, der nicht immer in gebührendem Maße gewürdigt wird, ist die Tatsache, dass bei vielen der gegen den Totalitarismus gerichteten Oppositionsbewegungen eine der zentralen Forderungen eben die Rückkehr nach Europa darstellte. Forderungen, die mich wieder einmal an den 25. April 1974 und den demokratischen Wandlungsprozess in Portugal denken lassen. Auch für uns vermischte sich damals der Begriff Europa mit den Vorstellungen von Demokratie und sozialem Wohlstand. Aus diesem Grund war ich stets eng verbunden mit dieser Generation, die Zeugen der Geburt von Demokratie in Mittel- und Osteuropa waren, und habe mit tiefer Überzeugung ihre Freude über ein wiedervereinigtes Deutschland geteilt. In diesem Zusammenhang kann ich nicht umhin, die beschränkte Sicht einiger Politiker zu bedauern, die die Wiedervereinigung Deutschlands aufschieben und so das Geburtsland von Kant, Goethe und Beethoven zu einer ewigen Teilung verdammen wollten. Meine Bewunderung und Sympathie für Deutschland stammt noch aus der Zeit, als ich, noch vor dem 25. April 1974, das Goethe-Institut besuchte, um einige der von der damaligen Staatszensur verbotenen Filme sehen zu können. Aus demselben Grund konnte ich es nicht für richtig halten, die dann am Ende der 80er-Jahre von Millionen von Menschen vorgebrachten Forderungen nach Demokratie und Freiheit aus geopolitischen Überlegungen heraus abzulehnen.

Der Fall der Berliner Mauer stellt über den Sturz des Totalitarismus hinaus ein ausdrucksvolles Symbol der Wiedervereinigung dar - und zwar nicht nur der Wiedervereinigung Deutschlands, sondern ganz Europas. In diesem Zusammenhang muss ich daran denken, was mir Wim Wenders über die bei den Dreharbeiten zu seinem Film "Der Himmel über Berlin" erlebten Schwierigkeiten erzählte. So erzählte mir der deutsche Regisseur, dass in einer bestimmten Szene die beiden im Film spielenden Engel, Daniel und Cassiel, auf dem damals in Ost-Berlin stehenden Brandenburger Tor sitzen sollten. Zu diesem Zweck hatte er um ein Treffen mit den Behörden der DDR ersucht, die ihn sogar freundlich empfangen haben, da sie seinen Film "Paris, Texas", als eine verhüllte Kritik der amerikanischen Gesellschaft deuteten. Gleichwohl reagierte der damalige Staatssekretär im Kulturministerium der DDR auf Wim Wenders' Anliegen, über die ganze Stadt, einschließlich des östlichen Stadtteils, Engel zu verteilen, mit einem sarkastischen Lachen, das von einer kategorischen Ablehnung und der folgenden Erklärung begleitet war: "Sie glauben also, wir würden es erlauben, dass Sie in Ihrem Film Engel auftreten lassen? Wissen Sie denn nicht, dass Engel Mauern überwinden können?"

Und in der Tat haben die Engel der Freiheit und der Demokratie, die im Jahr 1974 über Portugal flogen, auch im Jahr 1989 den Himmel über Berlin gekreuzt - und sie werden auch andere Orte aufsuchen, wann immer sie der Wille des Volkes ruft.