Dresden/Berlin. War es fahrlässige Tötung von Zivilisten oder eine zulässige Kriegshandlung? Der Luftangriff am 4. September in Afghanistan, bei dem bis zu 142 Menschen getötet wurden, wird nun die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe beschäftigen. Gestern wurden ihr von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden die Akten übermittelt. Nach Einschätzung der Dresdner Behörde deutet vieles darauf hin, dass der vom deutschen Oberst Georg Klein angeordnete Angriff auf der Grundlage des Kriegsrechts aufgearbeitet werden muss.

Erstmalig muss die Bundesanwaltschaft als oberste Anklagebehörde damit nach dem Völkerstrafrecht einen Fall prüfen, in dem es um die Verantwortung deutscher Soldaten für die Tötung von Zivilisten in Afghanistan geht.

Aus Sicht von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg war der verheerende Luftangriff militärisch angemessen. Wie der CSU-Politiker gestern in Berlin sagte, gehe er davon aus, dass auch Zivilisten ums Leben gekommen sind, auch wenn dafür der letzte Beweis fehle. Dies bedaure er "zutiefst und von Herzen". Guttenberg berichtete nach einem Gespräch mit den Fraktionschefs, der als geheim eingestufte Untersuchungsbericht der Nato liste Verfahrensfehler und Ausbildungsmängel auf. Doch selbst ohne diese Fehler "hätte es zum Luftschlag kommen müssen", meinte zu Guttenberg. Vor wenigen Tagen hatte er, anders als sein Vorgänger Franz Josef Jung (CDU), den Afghanistan-Einsatz als "kriegsähnlich" bezeichnet.

Die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft hatte gestern eine Zuständigkeit im Falle des Bundeswehr-Obersten Georg Klein abgelehnt. Die sächsischen Ermittler kamen zu dem Schluss, es handele sich in Afghanistan um einen "bewaffneten Konflikt", der nicht nach "normalem" Strafrecht, sondern völkerstrafrechtlich zu beurteilen sei. Laut Völkerrecht liegen bewaffnete Konflikte dann vor, wenn es bei Einsätzen zu mehr als nur sogenannter niedrigschwelliger Gewalt kommt.

Die Bundesanwaltschaft muss sich dieser Sicht aber nicht beugen. Sie reagierte gestern zurückhaltend. Bisher habe sich kein Anhaltspunkt für eine Übernahme der Ermittlungen ergeben. "Nach vorläufiger Bewertung der Erkenntnisse aus allgemein zugänglichen Quellen ergeben sich bisher keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat deutscher Soldaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch." Die Auswertung der Unterlagen werde jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Die Einstufung der Lage in Afghanistan als "bewaffneter Konflikt" hätte weitreichende rechtliche Konsequenzen. Sie würde nicht nur zur Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches führen, sondern auch der Regeln des humanitären Völkerrechts. Dann könnten völkerrechtskonforme Militäreinsätze innerhalb des Mandats der Vereinten Nationen grundsätzlich gerechtfertigt sein.

Allerdings bedeutet dies nicht, dass es auch auf einer solchen Grundlage einen "Persilschein" für die Tötung von Zivilisten gebe.

Die Bundeswehr hatte die Anordnung des Luftangriffs damit gerechtfertigt, dass die Taliban mit den Tanklastwagen einen Anschlag auf das deutsche Lager in Kundus verüben könnten. In dem als geheim eingestuften Untersuchungsbericht der Nato, über den Verteidigungsminister zu Guttenberg gestern den Fraktionschefs berichtete, wird die Zahl der Opfer mit zwischen 17 und 142 angegeben. Nach Ansicht von Nato-Ermittlern hat der deutsche Oberst mit seiner Anordnung gegen Befehle und Dienstanweisungen verstoßen, sagten hochrangige Nato-Offiziere am Donnerstag in Brüssel. Klein habe die Bombardierung durch US-Jets nicht selbst anordnen dürfen.