Die Kanzlerin hält eine sehr persönliche Rede. Auf ihren Appell zum Klimaschutz fällt die Reaktion eher verhalten aus.

Washington. Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, hat einen schweren Holzhammer. Wenn sie das Haus zur Ordnung rufen will, lässt sie ihn zweimal kurz und hart auf das Pult fallen. Dann erstirbt ein Geschehen, das man im Fernsehen nicht sehen kann: Der Kongress ist ein lebendiger, plaudernder Organismus. Leute umarmen sich, stoßen sich kichernd in die Seiten, manche haben sogar ein Bein lässig auf ihren Sitz gelegt. Als "Her Excellency Angela Merkel" eintritt, stehen alle auf - bereit, zu achten, zu feiern und zu mögen.

Im Kanzleramt weiß man sehr genau, dass Angela Merkel ihre Einladung nur zum Teil ihren politischen Leistungen verdankt. Helmut Kohl hatte einst schon ganz andere Dinge vorzuweisen und wurde dennoch nicht mit solcher Auszeichnung bedacht wie eben einer Rede vor dem Kongress. Aber bevor sie in ihrer Rede auf sich selbst und den guten 9. November 1989, den Tag des Mauerfalls, kommt, spricht sie über den finsteren 9. November - 1938, als Nationalsozialisten Synagogen ansteckten. "Ich kann heute hier nicht vor Ihnen stehen, ohne der Opfer dieses Tages und der Schoah zu gedenken."

Sie warf einen Blick hinüber zu dem Historiker Fritz Stern, der als Zwölfjähriger aus Deutschland gerade noch rechtzeitig nach New York hatte fliehen können und heute als Ehrengast geladen war. "Es ist wunderbar, dass wir - der aus Deutschland Verjagte und ich, die in der DDR aufgewachsene Bundeskanzlerin des wiedervereinten Deutschlands - heute gemeinsam in diesem Hohen Haus sein können."

Damit hatte sie das Haus für sich gewonnen. Wieder und wieder standen beide Kammern, Senat und Repräsentantenhaus, geschlossen auf und klatschten ergriffen. "Thank you", sagte die Kanzlerin auf Englisch. Und fügte auf Deutsch hinzu: "Das ist sehr bewegend!" Merkel: "Wir Deutschen wissen, wie viel wir Ihnen, unseren amerikanischen Freunden, verdanken." Keine Parteigrenzen. Mauern, die fallen, neue Mauern, die errichtet werden - die Rhetorik der Merkel-Rede kreiste um dieses Bild. Unter den Mitreisenden ist auch der sächsische CDU-Abgeordnete Arnold Vaatz, der als Bürgerrechtler in Dresden im Gefängnis saß. Auch ihn - der ihr wegen der Abwesenheit Ostdeutscher im Kabinett die Wahl zur Kanzlerin verweigert hatte - nannte Merkel beim Namen. "Alles ist möglich" - das ist ihr Leitmotiv.

Als Konrad Adenauer 1957 nach Washington kam, war Westdeutschland gerade erst der Nato beigetreten. Der erste Kanzler hatte für die Bundesrepublik geworben, indem er den Amerikanern "aus tiefstem Herzen" dankte und versprach, dass man seine Lektion gelernt habe: Niemand spiele mehr in Deutschland "mit Gewalt und Krieg". Man habe Souveränitätsrechte an Europa abgetreten - in der Überzeugung, der Nationalstaat sei nicht "die einzige und höchste Idee des politischen Lebens".

52 Jahre später steht die Bundeskanzlerin vor dem gleichen Auditorium und muss im Grunde das Gegenteil beweisen. In Afghanistan und anderswo kann man über einen funktionierenden Nationalstaat schon froh sein. Deutsche Soldaten im Ausland sind kein Schreckensbild mehr, sondern eine Forderung.

Anders als Adenauer darf Merkel aber auch ruhig mal keck werden. Die Zeiten, da die USA weltweit als Reformmotor betrachtet wurden, scheinen vorbei. Dass man in der Klimapolitik seit Jahren von den USA herrliche Bekenntnisse vorgesungen bekommt, denen kaum je materieller Einsatz folgt, erzeugt in Europa echten Unmut - der seinen Weg auch in die Rede der Kanzlerin finden soll. Von den Deutschen, das hat Merkel auch in Brüssel gesagt, werde immer erwartet, in Vorleistung zu gehen - mit dem Effekt, dass andere nur immer mehr von ihnen fordern. Bei den Emissionszielen hat es allerdings genau so funktioniert - der Triumph von Heiligendamm gründete auf ebendieser Vorleistung. Der Beifall war dann auch in den hinteren Passagen der Rede, wo es um den Klimaschutz und die Regulierung der Finanzmärkte ging, eher schleppend.

Zum Iran und seinem Nuklearprogramm fand sie kräftige Worte. Sie stellte sich einmal mehr ausdrücklich an die Seite Israels. Die Zweistaatenlösung wurde mehr so zufällig nachgeschoben, die Passage stand nicht im Manuskript. Es hat die Bundesregierung unangenehm überrascht, dass Hillary Clinton vorgestern die Forderung nach Stopp des Siedlungsbaus überraschend zurückgezogen hat - und so den moderaten Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im Regen stehen ließ. Also wurde spontan ein kleines, aber unüberhörbares Zeichen gesetzt.

Zum Schluss ihrer gut 30-minütigen Rede ließ Merkel noch rhetorisch die Berliner Freiheitsglocke läuten. Da freilich hatte sie Herzen und Hirne der Abgeordneten und Senatoren längst im Sturm erobert.