Fromm, engagiert und geschieden - mit der niedersächsischen Landesbischöfin wird sich die Kirche in Deutschland verändern.

Hamburg/Ulm. Nach der Wahl war sie ungewohnt zurückhaltend, wich kniffeligen Fragen aus. Margot Käßmann (51), bekannt für offene Worte und klare Stellungnahmen, wirkte gestern fast ein bisschen scheu. So neu ist für die niedersächsische Landesbischöfin die Rolle als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nicht nur dass zum ersten Mal eine Frau in der fast fünfhundertjährigen Geschichte des Protestantismus an der Spitze steht. Sie ist zudem eine geschiedene Frau. Immer wieder auch in den letzten Tagen hatte das für heftige Kontroversen unter den Christen gesorgt, die als sicher geltende Wahl der einzigen Kandidatin überschattet. Das Ergebnis gestern Morgen fiel dann mehr als deutlich aus: Käßmann bekam 132 der 142 abgegebenen Stimmen. "Im Vertrauen auf Gottes Hilfe nehme ich die Wahl an", sagte sie nach der Auszählung in Ulm - und die Erleichterung war ihr anzumerken.

Vor sechs Jahren hatte die niedersächsische Landesbischöfin schon einmal für den höchsten Posten in der evangelischen Kirche kandidiert. Damals war sie dem Berliner Bischof Wolfgang Huber unterlegen. Gestern machte sie deutlich, dass sie den von ihrem Vorgänger eingeschlagenen Reformweg weiterführen wolle. "Ich habe den allergrößten Respekt vor der großen Aufgabe, die in den nächsten sechs Jahren vor mir liegt", sagte die Bischöfin gestern. Veränderungen, vor allem im Führungsstil der Kirche, sind trotzdem programmiert. Mit Käßmann folgt auf den intellektuellen Scharfdenker Huber eine warmherzige Menschenhüterin.

Wie ein roter Faden zieht sich das Auf und Ab des menschlichen Lebens durch ihre Vita. Schon früh hatte sich die aus Hessen stammende Tochter eines Tankstellenbesitzers für die Theologie entschieden. Sie heiratete früh, arbeitete als Gemeindepastorin, promovierte. 1994 nahm die Karriere der zupackenden Pastorin, inzwischen Mutter von vier Töchtern, Fahrt auf: Sie wurde zur Generalsekretärin des Kirchentags in Fulda berufen. 1999 folgte die Wahl zur Bischöfin der Hannoveraner Landeskirche mit drei Millionen Gläubigen.

Damit war die wertkonservative Theologin endgültig die Vorzeigefrau der Kirche; eine, die dem Christentum eine Stimme gab - und Gehör verschaffte. "Brennende gesellschaftliche Themen gehören auf die Kanzel", so ihr Credo. In ihren Predigten, aber auch in Büchern, Talkshows und Interviews bezog die streitbare Kämpferin für ihre Kirche klar Stellung, prangerte die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich an, forderte Bildungsgerechtigkeit, focht aber auch für ihr Glaubensverständnis und tiefes Gottvertrauen. Eine Powerfrau, der scheinbar keine Grenzen gesetzt waren.

2006 dann der erste Schicksalsschlag: Margot Käßmann erkrankte an Brustkrebs. Operation, Strahlentherapie, nach acht Wochen stand sie wieder auf der Kanzel. Indem sie offen mit ihrer Krankheit umging, machte sie Tausenden Frauen Mut. Ernster, nachdenklicher, mehr nach innen gekehrt, kam sie zurück und sagte Sätze wie diesen: "Ich habe mein fröhliches Herz nicht verloren." Wie es wirklich in ihr aussah, wurde ein Jahr später bekannt. Nach 26 Jahren Ehe trennte sich die Vorzeige-Kirchenfrau mit dem heilen Familienleben von ihrem Mann Eckhard Käßmann. Über dieses Scheitern hat sie öffentlich nicht gesprochen, wohl aber immer wieder deutlich gemacht, wie viel ihr die Werte Ehe und Familie bedeuten. Es folgten persönliche Anfeindungen, ob eine geschiedene Frau Bischöfin sein kann. "Offene Kritik bis hin zu Häme, Verachtung und Hass habe es gegeben", schreibt sie in ihrem Buch "In der Mitte des Lebens", und dass sie das als schrecklich erlebt habe. Nun ist sie auch Ratsvorsitzende.

Sie ist ruhiger in den vergangenen zwei Jahren, wirkt reflektierter. Die EKD-Synodalen in Ulm überzeugte sie, die emotionale Schnellsprecherin, mit einer brillanten, punktgenauen Präsentation. Jetzt, nach den Schicksalsschlägen, scheint es, sei Margot Käßmann reif für das hohe Amt. Mit Katrin Göring-Eckardt (Grüne) als Synoden-Vorsitzende bildet sie eine neue weibliche Doppelspitze.

Dass sich in der evangelischen Kirche damit eine tief gehende Veränderung vorbereitet, lässt sich auch daran ablesen, dass Frauenrechtlerin Alice Schwarzer zu den ersten Gratulanten gehörte.