Einer mag die Vorstellung des schwarz-gelben Koalitionsvertrags mit stiller Genugtuung verfolgt haben: Friedrich Merz. Zu beobachten war eine Angela Merkel, die sich von der schwarz-roten Konsenskanzlerin in eine zuversichtliche Reformerin zurückverwandelt hatte. Politik der kleinen Schritte? Nicht mehr nötig!

Von der FDP motiviert, fasste Merkel den Mut, sich Beschlüssen des Leipziger CDU-Parteitags wieder anzunähern, die über Jahre als neoliberal gebrandmarkt worden waren. Die Pflegeversicherung soll schrittweise auf Kapitaldeckung umgestellt werden. Für die Krankenversicherung denkt die Regierung an eine Form der Kopfpauschale. Und das Steuersystem soll eine Stufenstruktur bekommen - ein Anklang an den Merz'schen Bierdeckel. Merkel entfernt sich von einem Leitgedanken, den sie - in Erinnerung an Konrad Adenauer - noch kurz vor der Wahl propagierte: keine Experimente. Die neue Kanzlerin würde jene, die vor Experimenten warnen, wohl als verzagt ansehen.

Ob radikale Sozialreformen im Schatten der Weltwirtschaftskrise gelingen, wird man sehen. Ein Experiment ist in jedem Fall die massive Steuersenkung. Es ist mehr als ungewiss, ob sich die Schieflage der öffentlichen Haushalte mit Steuergeschenken in zweistelliger Milliardenhöhe beheben lässt. Die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum werden vielfach überschätzt. Welchen Stellenwert die künftige Koalition der Schuldenbremse im Grundgesetz beimisst, hat sich in den Verhandlungen gezeigt. Die Versuche, die eben erst beschlossene Regelung zu umgehen, sind beunruhigend.

Das Überraschende an der neuen Regierung ist nicht ihr Personal. Es ist die Kühnheit ihrer Pläne. Konsequent wäre gewesen, wenn die neue Kanzlerin den wirtschaftsliberalen Friedrich Merz zurückgeholt hätte - etwa für den Posten des EU-Kommissars.